2004 Florentinische Tage

13.März bis 17.März 2004

Von Hermann Kratz

 


 

"Da ergibt sich denn, daß auf dem Erdkreise und soweit das Gewölbe des Himmels reicht, Italien das schönste und daher mit Recht den obersten Platz alles Erschaffenen behauptende Land ist.Es ist die zweite Regentin und Mutter der Welt  durch seine Männer, Frauen, Feldherren, Soldaten, Sklaven, Vortrefflichkeit der Künste, ausgezeichneten Genies . . ."

Plinius d.Ä., Historia naturalis

 

Sabato

 

Pünktlich treffen sich die Männer des PASSAT CHORES am Vormittag in der Abfertigungshalle des Flughafens Blankensee. Eine Kurzreise zu den beiden Schönen der Toskana steht auf dem Programm: Florenz und Pisa.     Der Sicherheitsscheck vor dem Abflug zieht sich in die Länge, ein Rudel von Abfertigern beschäftigt sich mit dem Handgepäck, aber sie finden auch, wonach sie suchen: Scheren oder Nagelfeilen, Messer in der Klappstulle, medizinische Spritzen. Besonders unsere Akkordeons, die mit in die Kabine genommen werden sollen, haben es ihnen angetan und werden misstrauisch inspiziert. Einer von uns  steht nicht auf der Liste der Fluggäste und verursacht damit ein kleines Chaos. Aber irgendwann sind dann  alle abgefertigt und warten in der Abflughalle.     In den Sitzen der spartanisch ausgestatteten Boeing-737 zwischen den grell beleuchteten gelb-blauen Innenwänden erwartet man, dass gleich der Zahnarzt mit dem Bohrer kommt. Hier ist vieles sonst Gewohntes eingespart worden. Aber der Flieger der "Ryanair"  hebt pünktlich ab und nimmt Kurs Richtung Süden.      Bei dem Billigflieger werden an Bord keine kostenlosen Speisen oder Getränke serviert, für Reiseverpflegung muss jeder selbst sorgen. Man kann aber auch das Nötigste für teure "Irish Pounds"   vom Bordpersonal erwerben.     Zwei Stunden später landen wir auf dem Flughafen "Galileo Galilei" in Pisa. Trotz des trüben Wetters ist hier der Frühling zu spüren, besonders wir aus dem kalten Norden genießen diese lang entbehrte milde Luft.      Nach dem Gepäckempfang können wir vom angrenzenden Airportbahnhof -sehr bequem - sofort weiterfahren. Nach einer Stunde Eisenbahnfahrt erreichen wir unser Ziel Florenz. Welch ein Name für einen Großstadtbahnhof: "Firenze Santa Maria Novella"! Wir können erahnen, was uns in den kommenden Tagen erwartet.     Das nahegelegene Hotel "San Giorgio" erreichen wir nach einem kurzen  Fußweg. In einer engen, verkehrsreichen Gasse gelegen sind hier wohl zwei Häuser mit unterschiedlichen Etagenhöhen zusammengelegt worden. Immer wieder trifft man unvorbereitet auf Absätze, Stufen, Treppen. Alles wirkt etwas altertümlich, plüschig, düster, aber es ist ordentlich und ruhig.     Nach dem Zimmerbezug ist Freizeit. Kleinere und größere Gruppen machen sich noch auf, um die nähere Umgebung zu erkunden, auch um nach der Reise für das leibliche Wohl zu sorgen.

 

Domenica

 

Der Mensch, der sich so plötzlich aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen sieht, erlebt merkwürdige Dinge. So passiert es, dass er nachts, einem dringenden Bedürfnis folgend, die falsche Tür nimmt und plötzlich nicht im Waschraum, sondern auf dem Hotelflur steht. Dreht er sich dann um und drückt wieder auf eine Türklinke, steht er im Schlafgemach einer fremden Dame.       Da für die Türen zu den Doppelzimmern jeweils nur ein Schlüssel existiert, müssen sich die beiden Zimmerbewohner irgendwie absprechen. Trotzdem muss der Nachtportier so manches mal Türen öffnen, hinter denen Mitschläfer die Klopfzeichen nicht hören.     Böse Gerüchte aber sind es, die behaupten, manche Zimmer wären nachts zu "Bars" umfunktioniert worden.     Das Frühstück ist besser und umfangreicher, als uns prophezeit wurde, Zufütterung aus den nahegelegenen Käse- oder Schinkenläden ist nicht unbedingt  notwendig. Aber der verwinkelte Speiseraum ist sehr eng, die Stühle sind eckig und kantig, die Tischabstände zu klein für so viele sich fast gleichzeitig bewegende kräftige Männer.     Die Sonne blickt über Florenz durch die Wolken und die düsteren, alten Gassen und Straßen wirken freundlicher. Es ist Sonntagsruhe, die zahlreichen Straßenhändler rund um die Kirche "S. Lorenzo" öffnen ihre Verkaufswagen und Stände erst später.      Der gewaltige Dom "Santa Maria del Fiore", vornehmlich aus weißem und farbigem Marmor errichtet, der daneben stehenden Campanile, von dem das Läuten der Glocken herunterschallt und das achteckige Baptisterium, strahlen in der Frühjahrssonne.      Die Plätze rund um die historischen Gebäude sind voller Menschen. Pferdekutschen warten auf Fahrgäste, die obligatorischen Schnellmaler und Karikaturisten stellen ihre Arbeiten vor und bieten ihre Dienste an. Gruppen von Besuchern mit Kopfhörern über den Ohren scharen sich um ihre Führer, die über Mikrofon in allen Sprachen ihre Erklärungen abgeben.  Die ganze Welt gibt sich ein Stelldichein. Wie mag es hier wohl erst zur Hauptreisezeit aussehen?     An einem Seiteneingang des Doms warten wir auf Einlass zur Mittagsmesse, an der wir teilnehmen und sie musikalisch begleiten sollen. Drinnen soll es, trotz der warmen Außentemperatur, noch sehr kalt sein, einige von uns haben mit warmer Kleidung vorgesorgt, andere werden die nächsten Stunden vor Kälte zittern. Zwei  Sicherheitsbeamte verwehren jedermann den Eingang zum Dom, die laufende Messe soll nicht gestört werden.     Doch dann ist es soweit, die  Tür wird freigegeben, die vorherigen Besucher strömen aus der Kirche und wir werden eingelassen. Auf Bänken neben einem Orgeltisch, zu Füßen der runden Altartreppe und direkt unter der hohen, weiten  Kuppel des Doms finden wir unseren Platz.      Andere Gottesdienstbesucher sitzen uns gegenüber,  weitere im Kirchenschiff. Schon in der Vorbereitung unserer Reise war per E-Mail über unser geplantes Musikprogramm verhandelt worden, doch jetzt wird  Chorleiter Wolfram Wende von "Monsignore" noch einmal zur letzten Abstimmung in die hinteren Räume gebeten.      Wir umrahmen die Messe, die in lateinischer und italienischer Sprache gehalten wird, mit unseren Liedern: "Shenandoah", "Rolling Home", das "Sanctus" von Silcher - extra für diesen Auftritt einstudiert, "Ave Maria no morro",  "Abendgebet am Kai" und zum Abschluss nochmals das "Shenandoah", diesmal mit einem Solo von Wolfram. Unter der gewaltigen Domkuppel treffen sich zwei so unterschiedliche Lied-Kulturen und vereinen sich zum Lobgesang Gottes.     Nach der eisigen Grabeskälte des Domes umfängt uns draußen wieder der warme Frühlingstag. Wir wandern mit unseren Instrumenten zurück zum Hotel und haben dann Freizeit.     Da keine gemeinsamen Aktivitäten geplant sind, wird die Stadt in kleinen oder größeren Gruppen erforscht.     Ganz Verwegene steigen die vielen hundert Stufen hinauf auf den Campanile, den Glockenturm des Doms und haben einen herrlichen Ausblick über die Stadt. Noch spannender ist der Aufstieg über eine enge Wendeltreppe auf die Kuppel des Domes. Hierbei hatte man zwischendurch einen wundervollen Blick von oben in das gewaltige Kirchenschiff.      Gegenüber dem Dom kann das Baptisterium mit seinen kunstvollen, vergoldeten Türen und den berühmten Mosaiken im Inneren besucht werden.      Sehr gefragt ist auch die Rundfahrt durch die Stadt im offenen  Doppeldecker-Bus mit Erklärungen in mehreren Sprachen über kleine Ohrhörer, die dauernd aus den Ohren fallen. Sie vermittelt einen großen Überblick über Florenz. An jeder Haltestelle kann ausgestiegen und die Weiterfahrt mit einem der nächsten Busse fortgesetzt werden.      Beim Piazzale Michelangelo hoch über der Stadt am linken Arno-Ufer liegt dem Betrachter die ganze Stadt zu Füßen. Der Blick über die Dächer, den Fluss mit seinen Brücken, den vielen Türme der Kirchen und Palazzi und über das Dom-Ensemble ist überwältigend und ein "Muss" für jeden Besucher.

 

Lunedi

 

Heute müssen wir früh aufstehen. Kurz vor 8.00 Uhr besteigen wir den Zug, der uns Richtung Westen nach Pisa bringt, immer begleitet vom Fluss Arno. Die Ebene ist geprägt von Industrie und Landwirtschaft und bietet hier keine besondere Schönheit, die wir in der Toscana eigentlich erwartet hätten.     Vom Bahnhof in Pisa aus erreichen wir nach einem langen Marsch durch die Straßen der Stadt die "Piazza del Duomo" mit ihren berühmten Bauwerken.      Der alleinstehenden schiefe Turm von Pisa bildet mit dem Dom "Santa Maria Assunta" und dem dahinterliegenden runden Baptisterium eine prächtige Einheit. Der "Camposanto" begrenzt die große Fläche nach Hinten. Das Ensemble gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.      Es erwarten uns zwei Führerinnen, Jo und Agneta, die uns in perfektem Deutsch und mit umfassendem Wissen in  zwei Gruppen in den nächsten Stunden durch die berühmten Bauwerke führen.     Der Campanile, der "Schiefe Turm" ist durch Sicherungsmaßnahmen in seiner Schräglage fixiert und kann für teueres Geld bestiegen werden.  Im Dom sehen  wir, wo Lang- und Querschiff sich kreuzen, das Tor des San Ranieri, das einzige, das von den ehemals vier antiken Toren übrig geblieben ist. Außerdem die Kanzel von Giovanni Pisano, das großartigste Kunstwerk des Doms.     Im Baptisteriums, der größten Taufkapelle der christlichen Welt, lauschen wir unter der hohen Kuppel dem Klang eines Solos von Wolfram und lassen danach noch einmal unser "Sanctus" erklingen.       Der "Camposanto" ist im Krieg nach einem Bombenangriff ausgebrannt. Wertvolle Fresken wurden beschädigt und werden jetzt restauriert. Sie wurden zu diesem Zweck in einem Spezialverfahren mit viel Aufwand von den Wänden abgenommen. Darunter kamen in Rötelstift ausgeführte Skizzen zutage. In den Grüften des "Camposanto" sind in heiliger Erde des Berges Golgatha berühmte Menschen bestattet worden.      Vor einer steinernen Statue von Leonardo Fibronacci erläutert uns unser Erster Sprecher die mathematische "Fibronacci-Folge" und ihre Bedeutung für die Kaninchen-Population.     Der Rückweg erfolgt auf eigene Faust. In Gruppen bummeln wir durch Pisa, genießen den Frühling und das italienische Flair, einige danken unseren beiden netten Führerinnen bei einem Glas Chianti für den schönen Vormittag oder kehren zum Mittagessen irgendwo ein.     Zu unterschiedlichen Zeiten finden wir über die Arnobrücke wieder den Weg  zum Bahnhof. Auf vorsorglich verteilten Fahrkarten fahren wir nach Florenz zurück.

 

Martedi

 

Der Vormittag steht uns zur freien Verfügung. In der Nähe des Hotels bietet ich zunächst ein Besuch in einer großen Markthalle an. In zwei Etagen stehen hier die Händler hinter ihren Verkaufsständen, die an Längs- und Quergängen liegen und bieten alles an, was an frischen Dingen für das tägliche Leben benötigt wird. Dazu liegt in der Luft eine einmalige Mischung von Gerüchen aus all dem Angebotenen: Fisch und Fleisch, Obst und Gemüse, exotische Gewürze und natürlich auch zubereitete Speisen.     Mit dem Stadtführer und Stadtplan in der Hand erkunden wir dann die Straßen, Paläste, Plätze, Kirchen und Brücken, die noch nicht besucht

wurden. Auch die "Galeria Uffizi" mit ihren weltberühmten Gemälden, für die schon von Lübeck aus Eintrittskarten vorbestellt werden konnten, steht heute für einige von uns auf dem Programm.     Am Nachmittag treffen wir uns in Chorkleidung auf den Stufen der Uffizien und singen, unter Aufsicht von zwei Carabinieri, ein paar Lieder, die von vorbeiflanierenden Touristengruppen mit viel Beifall belohnt werden. Danach ist Gelegenheit zu dem obligatorischen Gruppenfoto mit dem "David" von Michelangelo vor dem "Palazzo Vecchio".     Am Abend ist ein Abschiedsessen vorgesehen. Wir gehen gemeinsam vom Hotel durch die abendliche Stadt mit unbekanntem Ziel. Aber unser Reiseleiter Hartmut kennt sich aus und wir erreichen das "Ristorante la Spada" (zum Degen) in einer engen Gasse hinter der Kirche  "Santa Maria Novella". Dort verbringen wir einen fröhlichen und kurzweiligen Abend mit typisch florentinischen Speisen und Getränken, bei dem auch der Gesang nicht zu kurz kommt.      Zwei junge Amerikanerinnen in einem Nebenraum hören beim "Landlord" vertraute Klänge. Nach kurzem Wortwechsel singen wir das "Shenandoah", wobei eine der jungen Damen sehr mutig eine Strophe als Solo übernimmt.      Dann kommt der große Auftritt unseres Chorleiters Wolfram. "O sole mio" klingt sein herrlicher Tenor durch das Lokal und findet begeistert applaudierende Zuhörer.     In Gruppen bummeln wir später durch die milde florentinische Nacht zurück zum  nahegelegenen Hotel.

 

Mercoledi

 

Nach einem frühen Frühstück finden wir zum letzten mal den Weg zum Bahnhof mit dem wohlklingenden Namen. Der Zug bringt uns auf der bekannten Strecke zum Aeroporto nach Pisa. Das Einchecken und die Sicherheitsüberprüfung gehen hier reibungslos vonstatten.      Unser Flieger hebt mit Verspätung ab, ein "Arrivederci" geht noch einmal hinunter zu den immer kleiner werdenden Gebäuden der Stadt und der Landschaft der Toscana.       Nach einem ruhigen Flug landen wir pünktlich dank Rückenwind in Lübeck-Blankensee, wo wir natürlich liebevoll erwartet werden.