FINNLAND 23.07. -03.08.2003 Der Passat Chor Kurs Nordost Über die Reise nach Finnland und Estland berichtet Herrmann Kratz |
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Pünktlich um 12.30 Uhr werden die Leinen losgeworfen. Der riesige Schiffskörper gleitet rückwärts in den Warnow-Strom, dreht langsam und richtet seinen Bug in Richtung Ostsee. GTS "Finnjet" zieht ruhig an Warnemünde vorbei und erreicht die offene See. Dort geht ein Zittern und Vibrieren durch den Rumpf, die Gasturbinen werden zum Antrieb zugeschaltet, das Rauschen der Lüfter schwillt an und die alte Lady nimmt volle Fahrt auf. Mit 30 kn, rd. 56 km/h macht sie ihrem Namen alle Ehre. Sie geht auf Kurs Nordost, Ziel Finnischer Meerbusen. Unter den Passagieren sind 40 Sänger und Instrumentalisten unseres PASSAT CHORES. Von Travemünde mit Zustieg in Stockelsdorf und Schlutup hat der LVG-Bus uns mit Gepäck und Instrumenten nach Rostock-Überseehafen gebracht und dort am ai direkt vor dem Schiff abgesetzt. Dort erwartete uns ein weiterer Sänger,um mit uns an Bord zu gehen. Unser Ziel ist Südfinnland. Dort findet das "Kotka Seasong Festival" statt, und für die Teilnahme an dem Wettbewerb haben wir lange und intensiv geübt. Gleichzeitig erfüllen wir die Partnerschaft zwischen der Hansestadt Lübeck und er finnischen Hafenstadt Kotka erneut mit Leben. Die Instrumente und Utensilien werden auf jeweils zwei Leute verteilt, die auf der ganzen Reise für Transport und Bereitstellung verantwortlich sind. Besondere Beachtung verdienen zwei große Packstücke. Unser junges, neues Mitglied Holger Denckmann begleitet uns mit seinem Marimba-Instrument. Die Mittagssonne scheint heiß auf die See und das Schiff, aber der zunehmende Fahrtwind macht die Hitze erträglich. Unsere Instrumente liegen, sicher verwahrt, in einem Luggage-Store. Die Innenkabinen sind bezogen, immer vier Mann in zwei Doppelkabinen mit Verbindungstür. Beim Anblick der orange-farbenen Waschtische in den Naßzellen werden nostalgische Erinnerungen an frühere Reisen wach. Der allgemeine Treff ist auf dem Achterdeck, wo zunehmend um die vorhandenen Sitzgelegenheiten und schattigen Eckchen gerungen wird. Immer mehr Gruppen von jungen Leuten, Pfadfinder verschiedener Herkunft, finden sich zu Kreisen zusammen. Auch die Männer des PASSAT CHORES sitzen in ständig wechselnder Besetzung um den großen gelben Punkt, den Hubschrauberlandeplatz auf dem Achterdeck und klönen. Eine undefinierbare Dame finnischer Herkunft besetzt einen Stuhl in der Mitte der Runde, trinkt Gin-Mix, zeigt ihre Gänsehaut im Fahrtwind, läßt sich aber sonst dort von uns nicht stören. An Bord herrscht das finnische Preisgefüge. Zwar bezahlt man in Finnland auch mit dem Euro, jedoch sind insbesondere Alkoholitäten wesentlich höher besteuert. So kostet z.B. ein 0,4 l Plastikglas Bier aus dem Kiosk € 4,00. Daran muss man sich erst gewöhnen. Ebenfalls herrscht hier finnische Zeit, also MEZ plus eine Stunde. Für 18.00 Uhr ist Treffen vor dem großen Restaurant zum gemeinsamen Abendessen angesagt. Das reichhaltige Büfett, berühmt und beliebt schon zu Travemünder Zeiten des Schiffes, ist ein Gaumenschmaus der besonderen Art. Es bietet vor allem skandinavische Fisch- und Fleischspezialitäten in vielen Variationen, danach leckeren Nachtisch und Käse bis zum Abwinken. Inclusive sind alle Getränke, auch Wein und Bier (aber kein "Snaps"), die Zapfhähne sind für genau 105 Minuten der Sitzung geöffnet. Es wird gemunkelt, dass die Reiseleitung heimlich eine Strichliste führt, das lässt dann den einen oder anderen Sänger höflich nachfragen, ob er denn noch mal dürfe ... . Den Ausklang des schönen Tages erleben wir wieder an Deck. Der rote Sonnenball nähert sich dem westlichen Horizont. Sein Widerschein zaubert in die vorbeigleitende Bugwelle des Schiffes feurig-irisierende Reflexe, die sich ständig verändern. Dann wird die Sonne von einer grauen Wolke überdeckt, deren Ränder zu brennen scheinen. Sekunden später kommt der Sonnenball wieder unter der Wolke hervor und verschwindet in der scharfgezeichneten Kimmlinie. Die Dunkelheit bricht ganz plötzlich herein. Zur Entspannung der Passagiere bietet das Schiff neben Sauna und Swimmingpool (tief unten über dem Kiel) jede Möglichkeit der Unterhaltung. Tanzvorführungen in der Lounge, Roulette- und Baccaratisch neben der Bar, Spielautomaten, Livemusik und natürlich viel Platz für gemütliche Runden oder beschauliches Alleinsein. *
Der neue Tag zieht wieder mit herrlichem Sonnenschein über der Ostsee auf. Unser Gitarrist Krystian hat über Nacht beim Abstieg aus dem Oberbett die Leiter verfehlt und bei dem Absturz seinen Untermann furchtbar erschreckt, ist aber ohne Blessuren davongekommen. Das Frühstücksangebot lässt keine Wünsche offen, wird auch ausgiebig von uns genutzt, denn nach dem Tagesplan besteht erst gegen Nachmittag wieder eine Möglichkeit zu essen. Die "Finnjet" läuft in den Hafen von Tallinn ein und wir bewundern schon aus der Ferne die markante Silhouette der Stadt. Nach kurzer Liegezeit setzt das Schiff seine Reise über den Golf von Finnland fort, es sind nur etwa 55 sm bis zum Zielhafen Helsinki. Durch die vorgelagerten Schären, vorbei an der Festung Suomenlinna erreichen wir kurz nach 14.00 Uhr den Liegeplatz im Südhafen. Vor unsbreitet sich die Stadt aus, aus der der weiße Dom mit seiner Kuppel hervorleuchtet. Vor dem Terminal wartet ein Reisebus mit der Aufschrift "PASSAT CHOR".Er nimmt uns mit Gepäck und Ausrüstung auf und bringt uns in knapp zwei Stunden, immer Richtung Osten, an unser Ziel, die Hafen- und Partnerstadt Lübecks Kotka. Hier waren wir schon 1980 und 1990 zu Gast.
"Kalawokki" und "Konserttitalo" Nach der Fahrt durch etwas eintönige Landschaft mit verstreut auf vielen Inseln und Halbinseln im Mündungsbereich des Kymi-Flusses, der sich hier in den Finnischen Meerbusen ergießt. Wir fahren zur Insel Mussalo, westlich der Zentralinsel und mit dieser sowie anderen Inseln durch Dämme und Brücken verbunden. Überall hier ist man von Wasser umgeben und es ist greifbar nahe. Wir kommen an unser Ziel. Inmitten von Birken- und Kiefernbäumen liegt zwischen grünen Rasenflächen die Berufs-Hochschule für Forst- und Holzwirtschaft der Region Kymi-Tal (den finnischen Namen verkneift sich der Autor). Große Gebäude mit Schulungsräumen und Hörsälen, ein Betriebsgebäude für Holzverarbeitung und Labors, mehrere Wohnhäuser, sowie zweigeschossige Wohnheime bilden eine verstreute Einheit. Alle Gebäude sind in rotem Backstein errichtet und haben, landestypisch braunrot gestrichene Türen und Fenster. Während der Ferienzeit ist hier in einem der Wohnheime Platz für uns Vor dem Nachbarheim stehen reihenweise schwarz-weiße offizielle Polizei-Einsatzwagen. Beamte sind offensichtlich zu Schulungszwecken hier. Kurz nach unserer Ankunft können wir endlich unseren Chorleiter Wolfram Wende mit seiner Familie begrüßen, die im Wohnmobil schon eine längere Urlaubsreise durch Skandinavien absolviert haben. Unsere Begleiterinnen in den Kotkaer Tagen sind Frau Wende und die drei Töchter Lea, Hannah und Paula. Völlig lieb und zutraulich suchen die Kinder Kontakt mit uns Sängern. Wir kennen uns schon von Auftritten zu Hause und es ist, als gehörten sie dazu. Die kleine Paula hat Opa Werner besonders in ihr kleines Herz geschlossen, die Älteste Lea wird am nächsten Tag eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Mit ihnen treffen als Combo-Verstärkung Ralf Becker und Andreas Wendlandt ein, die für den Chorwettbewerb eingeflogen worden sind. Wir beziehen kleine, saubere Einzel- und Doppelzimmer. Beim Ausladen wird das Fehlen des Koffers mit den Tonträgern festgestellt, der durch ein Missverständnis im Gepäckraum des Schiffes stehen geblieben ist. Nach telefonischer Rücksprache mit der Reederei können wir ihn in ein paar Tagenhier erwarten. Es ist ein heißer Sommertag. In den Zimmern fehlen die Fenstergriffe und die großen Doppelfenster müssen zubleiben. Nur eine schmale Klappe lässt sich öffnen, das bringt nur wenig Frischluft ins Zimmer. Das Abschrauben des Griffs von der Klappe ist eine Sache von Sekunden und dessen Vierkant passt in die Schließöffnungen der großen Fenster. Ein neues Problem sind allerdings die bei offenen Fenstern rindringenden Mückenschwärme. Auch in die schmalen Gänge vor den Zimmern kommt nur Luft, wenn wir die Nottüren offen halten. Im Untergeschoß befindet sich ein Aufenthaltsraum mit Getränkeautomat, TV und eine Sauna, die uns auch zu festen Zeiten zur Verfügung steht. Nach dem Einrichten und Duschen bringt uns der Bus nach Kotka-Stadt.Wegen der Insellage führt die Straße in Umwegen immer wieder über Brücken und Dämme, in der Ferne sind Hafen- und Industrieanlagen zu erkennen. Sirkka Kotola, unsere finnische Begleitein vom städtischen Kulturamt für den Kotka Aufenthalt, spricht etwas Deutsch, aber besser Englisch, so ist die Verständigung kein Problem. Anlässlich der Meerestage findet in vielen Straßen der Stadt ein Volksfest mit Umzügen, Konzerten, Straßentheater und Paraden statt, all das zwingt uns auf unserem Weg zum Hafen zu weiteren Umwegen. Am Hafen werden wir in einem Zeltrestaurant namens "Bon appetit" verpflegt. Es gibt "Kalawokki", gewürfelte Zutaten aus Kartoffeln, Karotten, Bohnen und Fleischwurst, in einer riesigen Pfanne (als Wok-Ersatz) gebraten. Am nächsten Tag heißt es auch "Kalawokki", da ist die Wurst durch Fischstücke ersetzt worden. Dazu gibt es Wasser aus Glaskannen, zum Abschluss Kaffee. Wir essen mit langen Zähnen, aber satt werden wir schon davon. Am abgesperrten Kai entlang sind bunte Buden, Verkaufsstände, Fahrgeschäfte und sonstige Belustigungen aufgebaut. Merkwürdig, die Stände wirken persönlicher, die angebotenen Waren haben sichtbar andere Qualität als zu Hause. Es macht Spaß, trotz der Hitze dort entlang und in die Seitenstraßen zu bummeln und das Fremde auf sich wirken zu lassen. Am Kai liegt ein Dampfeisbrecher und ein altes Feuerschiff. Ein paar Ausflugsdampfer nehmen Fahrgäste auf. Hafenkräne überspannen die Anlage und Segelboote und das Minenjagdboot "Datteln" der deutschen Bundesmarine auf PR-Tour runden das Hafenportrait ab. Nach dem Essen bringt uns der Bus in die Innenstadt. Das Konserttitalo,die Konzerthalle von Kotka hat einen geschichtsträchtigen Saal. Unser Erster Sprecher hat die Tafel entdeckt, die besagt, dass Genosse Lenin hier im Jahre 1907 an einer Konferenz von internationalen Sozialdemokraten teilgenommen hat. Im Hinblick auf unseren vermissten Koffer kam von ihm natürlich der Spruch: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Im Foyer hängen Plakate für unser Eröffnungskonzert am Abend. Die Schreibweise "PASSATKUORO Lyypekistä", also PASSAT CHOR aus Lübeck, ist für unsere Sinne doch sehr gewöhnungsbedürftig. Wir begeben uns über Saal und Bühne im ersten Stock in einen hinteren Raum des Untergeschosses, der für uns Garderobe und Domizil sein wird. Eine folgende Chorprobe auf der Saalbühne führt uns nach den Ereignissen der letzten Tage wieder auf das Wesentliche unseres Besuches hin. Danach ist Freizeit in der Stadt, in der in der abendlichen Wärme hauptsächlich Getränke eine Rolle spielen. Vor Beginn unseres Konzertes erfolgt Begrüßung und Eröffnung der 38. Seetage durch einen Herrn des Kotka Männerchores. Das Interesse ist groß, angesichts der Temperaturen ist der Saal aber nur mäßig besetzt. Zum Ausklang eines schönen Sommerabends bringt uns der Bus zurück nach Mussalo in unser Quartier. Einige Sänger, die sich von unserem letzten Besuch von vor 13 Jahren auskennen, gehen noch Schwimmen. Für sie ist es eine "revival tour".
"Kärki Saari"
Ein herrlich warmer Tag erwartet uns am nächsten Morgen. Zu Fuß machen wir uns auf den Weg zum Frühstück. Die Straße verläuft zuerst durch ein Birkenwäldchen, das sich dann zu einer großen Wasserfläche der Kotkaer Schärenwelt öffnet. Immer wieder sehen wir neben der Straße, zwischen den Bäumen und auch im Wasser riesige Granitblöcke. Haushoch, glattgeschliffen, teils grünbewachsen mit Moos und Flechten. Einzeln oder in Gruppen sind sie von unvorstellbaren Kräften der letzten Eiszeit hier hergewürfelt, es ist unmöglich, sie wegzubewegen. Sie liegen da wie fette, schlafende Riesen. Ein Damm und eine Holzbrücke führen auf eine kleine Insel. Nach ein paar Wegbiegungen liegt vor uns ein Haus und wir kommen in ein kleines Paradies. Unter hohen Kieferbäumen steht da die Villa "Kärki Saari", zu deutsch "Inselspitze". Ein weißes, zweigeschossiges Haus, in finnischer Art aus Holz erbaut und reich mit Schnitzereien verziert, beherbergt es ein Hotel und Restaurant. Über eine breite Treppe mit Granitstufen, vor der sich nahebei die weite Wasserfläche in der Morgensonne ausbreitet, betreten wir eine hölzerne Veranda. Über sie führt der Weg zum Eingang und in den Flur des Hauses. Im Obergeschoss sind die Hotelzimmer untergebracht, das Erdgeschoss dient, ausgestattet wie eine elegante Villa, der Betreuung von Gästen. Über diese Betreuung durch die (früher mit einem Deutschen verheiratete) Pächterin, Frau Schultz und ihre Familie sowie ihr Team wird noch später positiv zu berichten sein. Wir genießen ein Frühstück im Gastzimmer, aber auch auf der Veranda und auf hölzernen Gartenmöbeln, die auf dem feinbekiesten Vorplatz stehen. Dieser leicht abfallende Uferplatz mündet, wie kann es anders sein, in einen Bootssteg, der hinaus ins Wasser führt. Hier waren die Sänger gestern Abend auch zum Schwimmen. Linkerhand, wenige Schritte entfernt, steht ein kleines Gebäude mit Holzveranda und Steg zum See, die hauseigene Sauna, wie sich später ergeben wird. Frisch gestärkt machen wir uns auf den Rückweg ins Quartier. Wir treffen uns in einem Hörsaal der Forsthochschule zu einer intensiven Chorprobe, denn unsere letzte Probe vor der Fahrt, die auch gleichzeitig die letzte im traditionsbeladenen Travemünder Gesellschaftshaus war, liegt vier Wochen zurück. Die Wärme in dem unbelüfteten Saal macht uns arg zu schaffen. Nach der Probe bringt uns der Bus wieder über die weiten Straßen an die Hafenmeile nach Kotka zum schon erwähnten "Kalawokki", Fischversion. Rundherum ist Volksfest, Jubel und Trubel. Aber wegen der sengenden Mittagssonne suchen wir lieber Schatten. Wir sind froh, schließlich wieder unseren klimatisierten Bus zu besteigen. Eine deutschsprachige Reiseleiterin erklärt uns bei der Fahrt durch die Stadt die Sehenswürdigkeiten, die wir passieren. Kotka ist eine Gründung des russischen Großfürsten Alexander II. Der Adler im Stadtwappen gab der Stadt 1878 ihren Namen. Kotka hat Bedeutung als Hafen- und Industriestadt. Dann geht es auf die Straße nach Norden. Nach kurzer Fahrt durch Waldgebiete erreichen wir die Stromschnelle Langinkoski des Kymiflusses.Hier steht, schön gelegen, die Fischerhütte von Zar Alexander III., ein langes, wieder in der Ochsenblutfarbe gestrichenes Haus, aus behauenen Kiefernstämmen errichtet. Über eine breite Veranda betritt man den Wohnraum im Erdgeschoss, die Küche und ein Arbeitszimmer. Hier stehen originale Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände aus der Zarenzeit. Zwei Gemälde, die den Zaren und seine junge Frau Maria Federowna zeigen, hängen an der Rückwand, Fotos und weitere Bilder der Zarenfamilie zieren die übrigen Wände. Eine schmale Holztreppe führt nach oben in die Räume der kaiserlichen Familie, des Gesindes und der Wachen. Auch hier sind alle Räume original möbliert, die der Majestäten mit schlichten Betten aus massivem Holz, die der anderen mit eisernen Feldbetten. Die vorbeirauschende Stromschnelle konnte durch kräftige Holztore noch eingeengt werden, um so das kaiserliche Fischen zu erleichtern. Wir kehren zurück nach Kotka zur Hafenmeile. Dort liegt der älteste noch schwimmende Dampfeisbrecher "Tarmo". An Bord längs der Backbordreling aufgereiht geben wir ein kurzes Konzert für die vorbeiziehenden Festgäste. Gleichzeitig beobachten wir die Besatzung der "Datteln", die auf den Eisbrecher geladen ist. Bei der Gelegenheit erscheint auch kurz der deutsche Honorarkonsul in Kotka bei uns. Einige Sänger werden noch in eine längere interessante Unterhaltung mit finnischen Offizieren verwickelt und verpassen das Essen, was uns im "Bon appetit" erwartet, nein, nicht wieder "Kalawokki" sondern eine schmackhaftere Grützwurst, dazu Brot und Salat. Dann fahren wir mit unserem Bus in die Stadt, wo wir im "Club" des Konzertgebäudes, einem kleinen, feinen Restaurant noch einen kurzen Auftritt für die anderen Festivalteilnehmer absolvieren, ehe wir nach des Tages Hitze in unsere Unterkunft nach Mussalo gebracht werden. Unsere Reiseleitung, natürlich selbst betroffen, hat sich Sorgen um unser Wohlergehen gemacht. Zu unserer Überraschung werden wir nach dem Erfrischen und Umziehen zur Villa "Kärki Saari" gebeten. Nach dem Frühstück in der morgendlichen Pracht dieses kleinen Paradieses hatten wir eine Steigerung nicht erwarten können. Aber wir hatten da noch nicht das Fischbüfett von Frau Schultz erlebt, genossen in den schönen Räumen, auf der Veranda und im Garten der Villa, an einem lauen Sommerabend und am Ufer eines finnischen Sees. Immer wieder werden neue Köstlichkeiten aufgetragen, die Vielfalt und der Ideenreichtum der Küche sind endlos. Dieser Abend gerät zu einem der Höhepunkte der schönen Reise. Nach dem Essen steht uns die hauseigene Sauna mit Veranda und dem Seesteg zur Verfügung, d.h. unsere Reiseleitung hat sie angemietet. Saunaliebhaber nutzen das Angebot bis weit in die Nacht hinein.
"Kotkan Merimieslaulfestivaali 2003"
Bei unseren mitgeführten Ausrüstungsgegenständen befindet sich auch unser weiß-roter Rettungsring. Der ist zwar da, aber trotz mehrfacher Nachfrage kann sich seltsamerweise niemand erinnern, für ihn zuständig zu sein. Lea, die Älteste unserer drei kleinen Schwestern, wird mit Beaufsichtigung und Transport für die nächsten Tage beauftragt. Vor den Erfolg haben auch die finnischen Götter den Schweiß gesetzt. Nach dem Frühstück werden wir abgeholt. Der Bus bringt uns in halbstündiger Fahrt nach Karhula, ein weit entfernter Ortsteil von Kotka. Hier haben wir einen "beeindruckenden" Auftritt auf dem Wochenmarkt. Zwischen Gemüse, Blumen und Brot stehen wir dort ohne Schatten in der heißen Morgensonne und gestalten unser schönes Programm. Unsere finnische Reiseleiterin Sirkka, das soll erwähnt werden, ist immer am Ort des Geschehens und hilft uns über Sprachbarrieren hinweg. Mit dem wohltemperierten Bus geht es zurück nach Kotka zur Konzerthalle. Hier können wir mit Freude unseren abhanden gekommenen Tonträger-Koffer nach seiner Rundreise Helsinki-Rostock-Helsinki-Kotka, wieder in Empfang nehmen.Dann stürzen wir uns in letzte Vorbereitungen für unseren Festivalauftritt. Nach dem Soundcheck auf der Bühne, Regieanweisungen und einer kurzen Probe der drei Stücke heißt es wiederum warten. Die Bühne ist mit Segeln und maritimem Beiwerk geschmückt, im Hintergrund weist eine weiße Schrift auf das Festival hin. Der große Wettbewerb selbst gerät, um ein maritimes Bild zu gebrauchen, zu einem Wettstreit zwischen finnischen Jollen, Kuttern, Schonern und einem deutschen Großsegler. Das musikverliebte finnische Publikum applaudiert begeistert jedem Interpreten und jedem Stück, die Jury macht es sich auch nicht leicht. Wir kommen mit zwei unserer Lieder in die Endrunde. Das Schlussergebnis am späten Abend nach der Endausscheidung ist fast vorhersehbar. Der Erste Preis, die herrlich hässlich-verdrehte, vergoldete Figur einer Muse, die schon einmal ein Jahr lang in unserem Trophäenschrank in Travemünde gestanden hat, geht an eine junge Solistin aus Tampere. Silber bei der Ausscheidung für Chöre gibt es für den PASSAT CHOR. Der ereignisreiche Tag klingt auf der Veranda und im Garten der Villa "Kärki Saari" aus. In einer lauen Sommernacht mit Blick auf das Wasser, umschwirrt von Mückenschwärmen, feiern wir mit einer Runde Sekt unseren Erfolg und dann, zu vorgerückter Mitternachtsstunde, in den Geburtstag unseres Schatzmeisters und Reiseleiters Hans Peter hinein.
"Farewell - lächeln, winken!"
Nach dem Frühstück bringt uns der Bus noch einmal zum äußersten Ende der Hafenmeile. Die Bühne, auf der wir auftreten sollen, ist schon abgebaut. Wir nehmen deshalb Aufstellung auf dem Kai, dem alten Feuerschiff "Helsinki" gegenüber. Einige Frühaufsteher nehmen dort ihren Frühschoppen, wenige flanieren vorbei. Unser Dirigent Wolfram nutzt an seinem letzten Tag hier die Gelegenheit und holt das Programm ganz tief aus der Seekiste hervor. Er freut sich diebisch, wie wir diese lange nicht aufgeführten Lieder singen und spielen, für so manchen Sänger waren die Texte Vergangenheit und einigen "Neuen" sogar völlig unbekannt. Ein Arbeitsmann stellt vor uns zwei Flaschen Wodka und Postkarten hin, alles wohl vom Wirt des Feuerschiffes. Wieder zieht ein heißer Tag über dem Land auf und der starke Regen der letzten Nacht verstärkt die Hitze noch. Wir kehren zurück zum Quartier und genießen die freie Zeit. Zum Mittag dürfen wir noch einmal im Garten der Villa "Kärki Saari" ein delikates Büfett genießen, auch die Sauna steht Interessierten wieder zur Verfügung. Im Haus wird unterdessen ein Essen vorbereitet, zu dem der deutsche Honorarkonsul Herr Zimmermann Offiziere und Mannschaften des Minensuchers "Datteln" hierher eingeladen hat. Auch unser 1. Sprecher ist zu diesem Lunch gebeten worden. Auf Bitten des Konsuls geben wir ein kurzes a-capella-Konzert für ihn und seine Gäste. Abschied von unserem Chorleiter Wolfram Wende und seiner Familie, die mit ihrem Wohnmobil Richtung Heimat fahren. Besonders die kindliche Fröhlichkeit unserer drei kleinen Begleiterinnen der letzten Tage Lea, Hannah und Paula werden uns fehlen. Die kommenden Auftritte des Chores wird Hartmut Welzel leiten. Abschied auch von Ralph Becker und Andreas Wendlandt. Die Pflicht ruft sie wieder nach Hause zurück, sie werden von Wolfram zum Airport nach Helsinki gebracht. Das Land und seine Seen um Kotka herum ist traumhaft finnisch. Dunkler Wald säumt die Seeufer, es liegt eine sommerlich-sonntägliche Ruhe über allem.Angler treiben mit ihren Booten ruhig auf dem Wasser, auf der heute freien Straße flitzen Inlineskater mit Skistöcken vorbei, Jogger schnaufen um die Wette. Wir alle ruhen aus. Die Saunaveranda ist von uns bis in die Nacht belegt. Eine skandinavische Stimmung, wie sie im Buche steht.
"Shooting on the rabbits"
Der Kymijoki hat seinen Ursprung in der riesigen Seenplatte, die einen großen Teil Südfinnlands bedeckt. Er gibt der gesamten Region seinen Namen, deren Bezirkshauptstadt Kotka ist. Der Fluss nimmt seinen Lauf zielstrebig nach Süden und bildet an seiner Mündung in den Finnischen Meerbusen ein beeindruckendes Delta. Vorher durchfließt er eine eiszeitliche Endmoränenlandschaft, in der Wälder und weite Felder von Granit das Bild bestimmen. Der Fluss wird durch diese Formationen beeinflusst, verbogen, gewunden und bildet in seinem Lauf zwischen den sich auftürmenden Felsen immer wieder Stromschnellen. Am nächsten Morgen nimmt unser Bus die Straße nach Norden. Kultaa liegt direkt am Fluss, der hier zunächst eine weite ruhige Fläche bildet. Eine Ansammlung von finnischen Blockhütten im Uferwald sorgen für alle Bedürfnisse von müden und hungrigen Floßfahrern und Passatchorsängern. Wir werden mit köstlicher, frischgekochter Lachssuppe und danach mit Kaffee und frischgebackenem Kuchen versorgt, derweil junge Männer drei Schlauchboote vorbereiten und Schutzhelme, unförmige Schwimmwesten, Paddel und weiche Gummischuhe bereitlegen. Mit all diesem ausgerüstet, eingewiesen und sonst nur dürftig bekleidet, bei der herrschenden Wärme gerade richtig, schieben wir kurze Zeit später unter Hinterlassung aller sonstigen Hilfs- und Ersatzmittel moderner Zivilisation die Boote in den Strom. Mit uns als zehn Mann Besatzung und zwei Bootsführern je Boot treiben wir zunächst per Paddel und Außenborder in die Mitte des Flusses zur "Badestelle". Das Wasser ist hier Oberschenkeltief, wir stehen im Strom und halten die Boote fest. Der fließt als weiche Stromschnelle über eine riesige glatte Granitplatte und es ist ein Mordsspaß, sich auf dieser Rutschbahn einige Meter hinabgleiten zu lassen und im Wildwasser zu verschwinden. Nach diesem Spiel besteigen wir wieder die Boote und es wird Ernst. Die Bootsführer machen sich einen Spaß daraus, die Schlauchboote auf Kollisionskurs zu bringen. Wenn Bug auf Bug prallt, werden die Boote hochgerissen und alle Mannen durchgerüttelt. Dabei beginnen wilde Wasserkämpfe per Paddel zwischen den Besatzungen, bei denen keiner trocken bleibt. Dann schießen wir durch die erste Stromschnelle und "all hands" werden gebraucht. Wir kommen durch, werden aber von oben bis unten nass. Dann folgt eine ruhige Strecke, die man treibend genießen könnte, wenn, ja wenn nicht... (siehe oben!). Nach der nächsten Stromschnelle passiert es. Die Boote umschleichen sich, rammen, kämpfen. In der Rangelei wird der mitfahrende Rolf von kräftigen Händen vom anderen Boot aus über Bord gezogen und treibt im Wasser. Der Schreck ist größer als die wirkliche Gefahr, wir ziehen den Blassen wieder ins Boot zurück und atmen tief durch. Nach zwei weiteren Schnellen erreichen die Boote eine Anlegestelle. Hier erwartet uns wieder die Zivilisation in Form unseres Busses und trockener Kleidung. Wir ziehen die Boote an Land und auf einen Autoanhänger. Jeder Teilnehmer empfängt stolz eine Urkunde für tapferes Verhalten. Den Crews und der Köchin wird ein Ständchen gebracht. Am letzten Abend steht ein Treffen mit dem Kotka-Männerchor in dessen Vereinshaus auf dem Programm. Gegenseitige Liedvorträge, Ansprachen, Geschenke, die Verständigung ist schwierig. Nach einem gemeinsamen Imbiss geht die Fahrt zurück nach Mussalo. Auf der Ausfallstraße zeigen die Polizeibeamten mit Straßensperren und Kontrollen, was sie bei der Schulung am Wochenende gelernt haben. Für uns aber heißt es packen und den Tag mit einem schönen Abendausklingen lassen.
"Superseacat Four"
Beim Frühstück am Morgen verabschieden wir uns herzlich von Frau Schultz und der Villa "Kärki Saari". Die gastfreundliche Aufnahme und aufmerksame Bewirtung, das gute Essen, das ganze Ambiente bis hin zur Sauna mit Seesteg werden uns allen in bester Erinnerung bleiben. In der Forsthochschule sind alle Fensterknaufe wieder an Ort und Stelle festgeschraubt, die Türen verriegelt. Der Bus bringt uns nach Helsinki. Zunächst steigen Holger Denckmann mit seinem großvolumigen Marimba-Gepäck und Ulli Fenner aus, um mit dem Finnjet zurück nach Rostock zu fahren. Für uns heißt das nächste Reiseziel Tallinn (Reval) in Estland. Das Terminal der schnellen "Superseacats" liegt auf der anderen Seite des Hafenbeckens. Bis zur Abfahrt müssen wir uns noch eine Stunde Zeit vertreiben. Das Gepäck bleibt unter Chor-Bewachung bei der Abfahrtstelle. Nebenan liegt die alte Markthalle, immer einen Besuch wert. Daran schließt sich, direkt am Hafen, ein großer Wochenmarkt an. Welch eine Veränderung. Hier habe ich vor 7 Monaten am Silvestertag gestanden, dick vermummt, zwar bei strahlendem Sonnenschein, aber 26° Kälte. Der Frost klirrte, die Schornsteine der Heizwerke zogen lange weiße Fahnen in den Himmel, die Ostsee war zugefroren. Heute suche ich bei 30° Hitze den Schatten unter den Bäumen der Esplanade. Check-in und Einsteigen in das Schnellboot "Superseacat Four". Man fühlt sich wie in der Kabine eines Flugzeuges. Auch das Cockpit, in das eine breite Fensterfront Einblick gewährt, vermittelt dieses Gefühl. Das Schiff legt ab, dreht und nimmt Fahrt auf, sucht seinen Kurs durch die Westseite des Hafens, lässt auch die alte Festung links liegen. Dann werden die Maschinen hochgefahren. Aus den Düsen im Heck wird das Wasser mit Hochdruck herausgeschossen, das Schiff erreicht seine Höchstgeschwindigkeit. Mit 67 km/h schießt es vorwärts, weißschäumendes Fahrwasser und eine hohe Gischtfahne hinter sich herziehend. Nach 90 Minuten stoppt unsere Fahrt auf der Reede von Tallinn. Wir müssen noch etwas warten, die "Finnjet" hat unseren Anlegeplatz noch nicht freigemacht. Dann zieht die alte Dame an uns vorbei und wir können anlegen.
Tallin (Reval)
Bei der Ankunft ist der Weg durch die Gänge des Terminals endlos und endet zunächst in langen Warteschlangen vor der Passkontrolle. Jeder Reisende wird genau begutachtet, seine Daten in einen Rechner eingegeben, aber irgendwann sind auch wir dran und durch. Wir sammeln uns auf dem weiten Busparkplatz vor dem Terminal auf glühendem Asphalt. Der Bus hat nicht genug Fassungsvermögen für uns und unser Gepäck, er muss zweimal fahren. Das Fünfsterne "Hotel Olümpia" ist ein Hochhaus-Neubau mit 26 Stockwerken. Wir beziehen unsere Zimmer und sammeln uns kurz danach im Foyer zum Stadtrundgang. Leider ist es durch die Verzögerungen spät geworden. Unser Stadtführer mahnt uns zur Eile und wir laufen, nein, fast schon rennen wir quer durch die Altstadt zum Dom, der um 17 Uhr schließt und für den er Eintrittskarten hat. Unsere Gruppe zieht sich in die Länge, einige geben unterwegs auf, aber die meisten schaffen es mit dem Glockenschlag. Ausgepumpt und durchgeschwitzt hören wir in dem kühlen Kirchenschiff die Erklärungen des früheren Lehrers. Danach folgt der ruhigere Teil der Führung durch die Altstadt. Das mittelalterliche, frühere Reval hat einen geschlossenen und einheitlich erhaltenen Stadtkern aus der Zeit der Hanse. Wir können herrliche Blicke von erhöhten Standpunkten über den alten Teil der Stadt und den Hafen genießen. Die faszinierende Geschichte Tallinns ist greifbar präsent. Verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflaster, malerische Häuserfluchten, uralte Stadtmauern nehmen uns auf unserem Weg hinunter in die Altstadt auf und lassen vergangene Jahrhunderte wieder auferstehen. Zu diesem Bild trägt auch die Stadtmauer bei, die mit ihren wuchtigen Wehrtürmen noch in weiten Teilen erhalten ist. Nahe beim Rathaus, im historischen Restaurant "Peppersack", treffen wir unsere Verlorenen wieder und mit einem herrlichen Abendessen in nostalgischer Atmosphäre wird der Tag abgerundet. Wer Tallinn besucht, erlebt eine westliche Stadt, die sich modern gibt. Fast ein Drittel der estländischen Bevölkerung lebt hier, gute 400.000 Einwohner. Alles ist in einer Aufbruchstimmung. Im 26. Stockwerk des "Olümpia" gibt es ein Schwimmbad. Es bringt bei der herrschenden Außentemperatur zwar nur kurzfristig Erfrischung, aber der Ausblick über die Stadt und ihren Hafen ist atemberaubend. Den gleichen Ausblick auf die Stadt hat man direkt aus der Sauna, welche sich ebenfalls im 26. Stockwerk befindet. Unsere Reiseleitung hatte uns nicht zuviel versprochen. Auch das Frühstücksangebot des Hotels sucht seinesgleichen. Heute Morgen ist nun der letzte noch fehlende Zugang in Person von Bernd Krutzinna eingetroffen. Auf einer Rundfahrt zeigt uns unser Stadtführer seine weitere Stadt. Schon 1154 wurde Tallinn auf alten Landkarten vermerkt. 1219 eroberten die Dänen das Land und verkauften es 1346 an den Deutschen Ritterorden. 1561 übernahmen die Schweden das Zepter und von 1710-1917 regierten die russischen Zaren. Dann folgte eine Unabhängigkeit bis 1940, wo sämtliche Güter aus deutscher hand enteignet wurden. Russische, deutsche und ab 1944 wieder russische Besatzung löste diese Zeit ab. 1988 dann der Beginn der "singenden Revolution", 300.000 Esten zeigen auf dem Sängerfeld ihre Einigkeit. Sie endet glücklich 1991 mit dem Ausrufen der Republik Estland. Der Stadtführer fährt mit uns in viele Außenbezirke, in denen der Aufbruch nach der Wende deutlich wird, aber auch die Hinterlassenschaften "Sowjetischer Zeiten" sind nicht zu übersehen. Unser Führer hat die Kenntnisse und die Gabe, die heutige Zeit sehr positiv zu sehen und zu erklären. Er hatte, wie viele andere Estländer auch, in der sowjetischen Zeit sehr zu darben. Ein Beispiel verdeutlichte dies, als er erzählte, wie er einstmals stundenlang umsonst durch die Stadt gelaufen war, nur um Zahnpasta zu bekommen. Estland fühlt sich Finnland durch die Sprache und Deutschland durch die Tradition mehr verbunden als den übrigen baltischen Staaten. Die strategische Lage als Eingangstor für ein gewaltiges Hinterland hat Estland schon immer in der Geschichte zum Spielball der Mächtigen gemacht. Bei Erwähnung der "Baltischen Flotte" steigt das Bild von "Rum-Ba-lotte" auf. Das Zarenschloß Kadriorg, der Präsidentenpalast im gleichen Stil und natürlich die Riesenbühne mit dem noch gewaltigeren Sängerfeld gehören zu den interessanten Punkten unseres Besichtigungsprogramms. Unsere Fahrt endet wieder am Hotel, der übrige Tag wird individuell in den Gassen und den herrlichen Straßen- und Kellerlokalen der Altstadt oder sogar am Badestrand verbracht. Nicht zu übersehen waren die hübschen estländischen Frauen und Mädchen, die freundlich und erfrischend herzlich in den Lokalen bedienen. Und überall kann man bei den angenehmen Temperaturen an Tischen und Bänken draußen sitzen, wir genießen es.
Tartu (Dorpat)
Die alte Hansestadt liegt rund 200 km südöstlich von Tallinn am Emajögi (Embach), einem Wasserlauf, der die großen Seen Peipsijärv im Osten und Vörtsjärv im Westen verbindet. Die deutsche Name des Flusses ist wegen seiner Verkleinerung in der Endung bach nicht mehr beliebt. Tartu ist die zweitgrößte Stadt Estlands mit etwa 100.000 Einwohnern und 19.000 Studenten. Schon 1632 wurde die Universität gegründet. Unsere Fahrt hierher führt uns durch weites Acker- und Waldland. Bemerkenswert sind zahlreiche Storchennester auf Häusern, Masten oder Bäumen mit Jungtieren und die rüssellosen Büffelherden (keine Ahnung, was das ist, habe ich aber notiert). Auch die alte Universitätsstadt Tartu hat eine wechselvolle Geschichteim Tauziehen zwischen den Mächten erlebt und war lange Zeit geistiger Mittelpunkt baltischen Deutschtums. Die Kontraste zwischen aufwendigen Neubauten von Banken, Hotels, einer Schwimmhalle, Einkaufszentrum und verfallener Altbausubstanz sind allgegenwärtig. Auf unserem Stadtrundgang mit einer liebenswürdigen Dame mit Strohhut hören wir davon und sehen noch vieles mehr. Auf dem Domberg steht die Ruine des nie vollendeten Domes und eine geschichtsträchtige Sternwarte. Rückkehr in unser Quartier mit dem sinnigen Namen "Hotel Tartu". Der Bus bringt uns zum nahen Ufer des Emajögi. Dort liegt vor dem Gebäude des Hafentheaters eine eiserne Schute vertäut. Auf deren Aufbauten ist eine Bühne errichtet und auf dieser geben wir ein bemerkenswertes Konzert. Durch Plakate, Zeitungen und Handzettel ist es angekündigt worden und wir staunen über die große Zahl von Zuhörern, die unter Sonnenschirmen auf Bänken und an der Uferböschung sitzen und herzlichen Beifall spenden. Musik hat im Land der Singenden Revolution" große Tradition. Einige der Zuhörer sind itglieder eines örtlichen Männerchores und es werden spontan Grußworte ausgetauscht und gemeinsame Lieder gesungen. Unter dem Domberg hat ein russischer Zar eine weitläufige Kuppelhalle als Munitionsdepot aus Backsteinen errichten lassen, den heutigen gastronomischen "Püssirohukelder" (Schießpulverkeller). Dort treffen wir uns zum Abendessen. Eine Suppe aus Brottöpfen, ein Elchgulasch und erhebliche Mengen an Bier beschließen den Abend. Der Bus bringt uns in zwei Fuhren zurück zum Hotel, ein Teil der Sänger geht aber zu Fuß durch die Altstadt und der Flusspromenade.* Läänemere lained Seal, kus Läänemere lained laksuvad,seal, kus tuuled, tormid aina mühavad, seal, kus valge majak, valge nagu luik,seal on minu kodu, seal mu sünnipaik. Westmeerwellen Dort, wo die Westmeerwellen schlagen, dort wo immer die Winde, Stürme tosen, dort, wo das weiße Haus steht, weiß wie ein Schwan, dort ist mein Zuhause, dort bin ich geboren. Der nächste Morgen findet uns im Bus Richtung Nordwesten. Unser Ziel ist die große Ostseeinsel Saaremaa (Ösel) vor der Westküste des Landes. Sie war zu sowjetischen Zeiten Sperrgebiet und nicht erreichbar. Unser Reiseleiter Hans Peter hatte die Fahrt durch Estland bei einem vorherigen Aufenthalt minutiös geplant, aber der einheimische Busfahrer kennt für sein Fahrzeug andere Straßen. Trotzdem erreichen wir gerade noch pünktlich den Fährhafen Virtsu. Am kleinen Fährhafen wird gebaut, das Fährschiff liegt an einer Nebenbrücke. Scharen von Reisenden und eine große Zahl von Autos und Bussen gehen an Bord für die kurze Seestrecke. Auf dem kleinen Schiff laufen die Antriebsmotoren ununterbrochen auf Hochtouren, sie erzeugen offenbar Strom für die Schiffsmaschine und damit einen ständig hohen Geräuschpegel. Der Zielhafen Kiuvastu ist in einer knappen Stunde erreicht. Er liegt auf der vorgelagerten kleinen Insel Muhu, die mit der Hauptinsel Saaremaa durch einen Damm verbunden ist. Auf unserer Weiterfahrt erkennen wir, dass hier die Zeit stehen geblieben scheint. Die Natur und Bauwerke haben ungewohnte Ursprünglichkeit bewahrt. Der Badeort Kuressaare (Arensburg) liegt an der Südküste der Insel an einer kleinen Bucht der Ostsee. Hier findet an diesem Wochenende das "Kuressaare Maritime Festival" statt, ein Volksfest am Wasser entlang mit Spiel, Spaß und Musik. Neben der skurrilen, deftigen Skulptur vom "Fischer Toll und seiner Frau Piret" steht ein Festzelt, davor ist in die flache See hinein eine große Bühne aufgebaut. Dort geben wir den wohl schönsten Auftritt dieser Reise. Wir sind tief beeindruckt, wie die zahlreichen fröhlichen Zuhörer unserem Vortrag folgen. Sie singen und klatschen und zeigen ihre Freude. Wir sehen Menschen, für die unsere Musik etwas Lebendiges, vielleicht lange Entbehrtes ist. Mit viel herzlichem Beifall werden wir verabschiedet und fahren nach einem Erfrischungsumtrunk weitere 10 km der Küste entlang. Das Hotel "Männikäbi" ist das Ziel unserer letzten Nacht in Estland. Es liegt im Kiefernwald direkt hinter der Stranddüne. Davor breitet sich die weite Rigaer Bucht nach Süden aus. Hier finden wir für Leib und Seele den Abschluss eines erlebnisreichen Tages. Beim gemeinsamen Abendessen an der hübsch eingedeckten langen Tafel gibt unser Erster Sprecher Hans-Jürgen Friedrich einen Rückblick auf die ereignisreichen Tage unserer Reise und vor unseren Augen steigen noch einmal die Highlights auf. Dankesworte gehen an alle, die mit der perfekten Planung und Durchführung sowie Überwindung der Unwägbarkeiten dieser Reise befasst waren und noch sind. Mit einem Bad in der Ostsee, einem Spaziergang durch den Kiefernhain, Sauna oder einfach Faulenzen geht auch dieser Sonnentag zu Ende.
"Eichhörnchenfell oder Trinkgeld"
Nach ausgiebiger vormittäglicher Freizeit, in der wir nochmals die Ostsee genießen konnten, fahren wir am späten Vormittag zurück. Unterwegs begegnen uns viele VW-Käfer aller Altersklassen, offenbar auf der Fahrt zu einem Oldtimer-Treffen. Über den Damm erreichen wir den Fährhafen, die kleine, lärmende Fähre bringt uns zurück zum Festland. Weiter geht es nach Nordosten, und der große Kreis schließt sich in Tallinn. Der Bus entlässt uns außerhalb der Altstadt. Unsere Reiseleitung hat uns als Abschluss zum "Samstagsmahl der Kaufmannsgilde" in das Restaurant "Olde Hansa" eingeladen. Die Zeit bis zum Beginn des Mahls vertreiben wir uns noch einmal mit einem Bummel durch die alten Gassen und Höfe der Altstadt. Unsere Mitsänger Horst und Roland treffen dabei auf ein Aufnahmeteam des ZDF. In einem kurzen Statement erläutern sie unseren Aufenthalt in der Stadt und ihre Eindrücke. Dann versammeln wir uns vor dem alten Speicher, der das "Olde Hansa" beherbergt. Vor dem Eingang steht ein großes Podest mit überdachten Tischenund rustikalen Sitzgelegenheiten, Musikanten produzieren altertümliche Klänge auf Leier, Flöte und Handtrommel. Fackeln und Öllampen blaken. Aus einer Luke im Obergeschoss winkt uns eine der mittelalterlichen "hingebungsvollen Dienerinnen" zu und wir treten ein. Im Halbdunkel des Inneren werden wir ins vierte Stockwerk geleitet, wo uns zunächst, einer Zeremonie gleich, einzeln die Hände gewaschen und wieder getrocknet werden. Wir nehmen auf Bänken an langen, groben Tischen Platz.Kerzen erhellen den Raum nur wenig. Das nun folgende Gelage kann nur unvollständig beschrieben werden. Junge "Dienerinnen und Diener" in altertümlicher Kleidung, durchaus mit Handy und elektronischen Kassen vertraut und außer ihrer Landessprache nur des Englischen mächtig, machen uns vor jedem Gang mit dem Folgenden vertraut. Aus einer vorgelegten Speisefolge sprechen Leckerbissen wie Leberpastete, gebackener Käse, Lachs, arabisches Ochsenfilet, Gurken, Safran, gesegnete Früchte des Olivenbaumes, Honigbrei usw., usw. eine eigene Sprache. Das Angebot an Getränken ist entsprechend umfangreich. Nach knapp zwei Stunden fallen uns Messer und Gabeln aus der Hand. Bis auf den scharfen und hochprozentigen Pfefferschnaps, der zur Verdauung im Mahl eingeschlossen ist, gehen die Getränke auf eigene Rechnung, die aufmerksamen "Dienerinnen und Diener" nehmen darüber hinaus dankbar das eine oder andere "Eichhörnchenfell" (Trinkgeld) entgegen. Vier Etagen treppab, inzwischen ist schon die nächste hungrige Gruppe eingetroffen. Fußweg zurück zum Bus. Eine mehrmalige Durchsicht ergibt das Fehlen eines Sängers, das Fehlen von Uwe. Wir warten über die ausgemachte Zeit, dann fährt der Bus los. Vom nahegelegenen Hafenterminal aus soll eine Hilfsexpedition starten. Zu unserer und seiner Freude ist Uwe schon mit einem Taxi dort. Er hatte ein stilles Örtchen im Erdgeschoss aufgesucht und wieder oben an gekommen, waren wir fort. Doch nun stellte er den Verlust seiner Brieftasche fest und war entsprechend aufgelöst. Wir lösen ihn zunächst beim Taxifahrer aus. Beim Einchecken kommt Erleichterung auf. Die Brieftasche wurde beim Abräumen im "Olde Hansa" gefunden, unsere Weiterreise mit der "Finnjet" war bekannt und zunächst ein Anruf bei der Silja-Line und später ein Bote vom Lokal in seiner ungewöhnlichen Tracht lösen das Problem. Alle waren begeistert von der Ehrlichkeit gegenüber uns "Touri's". Zwischenzeitlich hat Mike mit seinem hochbeladenen Kofferkuli eine Rolltreppe stillgelegt. Passkontrolle in umgekehrter Richtung, der Computer gibt uns wieder frei und wir besteigen die wartende "Finnjet".
"Ostseewellen"
Der Sonntag ist gut zum Ausschlafen und für ein ausgedehntes Frühstück. Das Team des ZDF ist auch an Bord, am Abend haben unsere Reiseleitung und die Fernsehleute für heute Morgen einen außerordentlichen TV-Auftritt auf dem Achterdeck vereinbart. Unsere Chorkleidung liegt natürlich in den Tiefen unserer Koffer, aber Dienst ist Dienst. Die Aufstellung klappt ganz gut, aber wir können die gegenläufigen Handzeichen unseres Dirigenten Hartmut für das Schunkeln bei den "Ostseewellen" einfach nicht deuten. Ist rechts vorne, oder hinten, oder vielleicht links vorne? Die Aufnahme mit Turbinenlärm und im Fahrtwind kommt in den Kasten und das zahlreiche Publikum hat mit einer Zugabe seine Freude. Eine Woche später sendet das ZDF davon eine knappe Sekunde. Das schöne Mittagsbüffet an Bord ist unsere letzte gemeinsame Mahlzeit dieser Reise. Die letzten Stunden gelten dem zollfreien Supermarkt und dem Relax, dann heißt es ein letztes mal packen. Die Ankunft in Rostock ist pünktlich, unser LVG-Bus wartet schon am Anleger. Es ist erstaunlich, trotz zwischenzeitlich laufender Zu- und Abgänge von verschiedenen Personen kommen wir mit der gleichen Zahl von 40 Männern wieder an.* Auf der Rückfahrt von Rostock holt uns der Alltag des PASSAT CHORES wieder ein. Ankündigungen unseres Veranstaltungsleiters weisen auf unsere Aktivitäten auf dem St. Lorenz-Markt in Travemünde, die erste Probe im Pommernzentrum, den Handwerkermarkt und, und, und, hin. Wie schön, dass man in diesem Bericht noch einmal alles nacherleben kann. |
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