1996: Irland
Eine Reise in die Vergangenheit? von Volker Seemann |
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Am 27.6.1996 war es so weit. Auch in diesem Jahr fuhr der Passat Chor nicht einfach der Sonne entgegen, sondern zur Gesichtskreiserweiterung nach Irland, der GRÜNEN INSEL im äußersten Westen Europas, die schon immer etwas von den kulturellen und politischen Störungen des Kontinents isoliert war.
Eine Reise nach Irland, eine Reise in die Vergangenheit, dahin, wo man die Uhr nicht nur 1 Stunde zurückstellen muß, sondern wo sie auch 30 Jahre stehen geblieben zu sein scheint. Würden wir im Land der Mönche, Dichter und Freiheitskämpfer die ungestörte Natur, die Schönheit der einsamen Moorlandschaft Connemara und die urtümliche Karstlandschaft der Burren genießen, mittelalterliche Klöster und Burgen sehen können? Pünktlich um 7 Uhr verließen wir Lübeck mit einem komfortablen Bus der LVG. Diesmal befand sich unter den 54 Teilnehmern auch unser verehrter Arrangeur Heiko Fenn. Kurzweilig verlief die erste Reiseetappe, dafür sorgte der Einfallsreichtum vieler Chormitglieder. Herbert Höfer versorgte uns mit vorbereiteten Lunchpaketen, während Rüdiger Meins uns den in der Bordküche frisch zubereiteten Kasse servierte. Manchmal wurde eine wohlschmeckende Medizin gereicht wohl zur Steigerung der Ausdauer. Die oft nicht zu vermeidende Schaukelei des Busses verhinderte bei der Verabreichung stets eine Überdosis. Ein von Herbert Höfer für jedes Chormitglied liebevoll gestaltetes Überraschungspräsent ließ uns vergessen, daß wir inzwischen 8 Stunden Busfahrt absolviert hatten. Noch mit dem Ausladen des „kleinen Gepäcks“ aus dem Bus beschäftigt, nahmen wir intensiven Ölgeruch wahr. Unverkennbar, wir hatten den unattraktiven Teil Rotterdams, den Ölhafen erreicht. Gegen 18 Uhr betraten wir ausgestattet nur mit Handgepäck die Fähre in Richtung England, während der Bus ohne uns im riesigen Schiffsrumpf verschwand. Eine erholsame nächtliche Überfahrt in bequemen Kabinen lag vor uns. * Typisch englisches Schmuddelwetter empfing uns am Morgen in Hull (GB). Doch es bekümmerte uns nicht, hier wollten wir ja nicht bleiben. Weiter ging die Busfahrt, nun durch Mittelengland. War für einige die Nacht auf der Fähre doch nicht so ruhevoll? Sie schliefen zumindest anfänglich. Der Rest beobachtete das Geschehen auf den Straßen, die Landschaft und lauschten den Informationen des schon in Deutschland zugestiegenen Reiseleiters, Herrn Antpöler. „Pause, Pause! Die Raucher wollen Pause“, skandierten die ...Nichtraucher. Ein Chormitglied (Raucher) wollte gegen die Behauptung aufbegehren. Ein Fehler, denn fortan wurde er „Volker Nikotino“ geschimpft. Ja, die wenigen Raucher haben es im Passat Chor schwer, wird es bald im Chor einen Nichtraucher mehr geben? Nach der Weiterfahrt steigerte sich das Verkehrsaufkommen. Wir hatten inzwischen Manchester, das nordwestliche Handels und Industriezentrum Englands erreicht. Nur schnell weiter, unser Ziel war doch die ungestörte Natur Irlands, die Burgen, die Klöster. Zur Einstimmung darauf war da schon eher der nächste zweistündige Aufenthalt im beschaulichen Conway, einem Städtchen mit einem gut erhaltenen Kastell aus Natursteinen an der Westküste Englands geeignet. Danach trennten uns nur noch 2 Stunden von der Überfahrt nach Irland. Endlich fuhren wir um 18 Uhr mit dem Bus auf den futuristisch wirkenden, weltgrößten Hochgeschwindigkeitskatameran, der uns mit 44 Knoten in 99 Minuten nach Dun Laoghaire bei Dublin katapultierte. An Bord keine beschauliche Ruhe. Hektik und stete Konsumaufforderung bestimmte die Überfahrt. Größer konnte der Kontrast zu dem, was wir auf der Insel erwarteten, nicht sein. Nach der Ankunft im Quartier gleich ins Zentrum von Dublin? Das Nachtleben studieren? Nein, fast alle genossen die gepflegte Atmosphäre des Hotels, das erste Guinness auf irischem Boden und reflektierten über die erste Etappe der Fahrt die Anreise. * Am nächsten Tag: Nun wollten wir endlich „unsere“ Molly Malone, deren ihr gewidmeten Song wir extra für die Reise einstudiert hatten, sehen. Sehr früh fuhren wir in das Zentrum von Dublin, Hauptstadt, Herz und Kopf der GRÜNEN INSEL, wo alles zusammenkommt: Eisenbahn, Straßennetz, größter Flug und Seehafen, protestantischer und katholischer Erzbischof, höchste Gerichte, kulturelle Institutionen, etc. Da stand sie nun, die Molly Malone mit ihrem Fischkarren an einer viel befahrenen Straße. Wir verzichteten hier auf einen Gesangsvortrag, denn ein Verkehrschaos wäre sicherlich die Folge gewesen. Das obligatorische Gruppenfoto reichte. Der Besuch der prächtigen Bibliothek im Trinity College, an dem seit 1904 Frauen zum Studium zugelassen werden, scheiterte am großen Touristenandrang. So durchstreiften wir in Gruppen oder alleine die Stadt, entdeckten die vielen Parks, die Kathedralen, Galerien, Kaufhäuser oder landeten in einem der 1000 Pubs. Mit eher flüchtigen Eindrücken von Dublin aber wir hatten ja zum Glück unsere Molly Malone gesehen verließen wir am frühen Nachmittag die Stadt in Richtung GALWAY, der „Hauptstadt“ des musikalischen irischen Westens. Auf dem Wege dorthin die erste Begegnung mit der Geschichte Irlands, den Klosterruinen Clonmachois. Dieses am Shannon River gelegene Areal und die Informationen unseres Reiseleiters versetzten uns kurzzeitig über 1000 Jahre zurück. Nach über 3 Stunden wandten wir uns wieder der Gegenwart zu und erreichten am frühen Abend GALWAY. Der FolkloreOrt empfing uns mit einer Unmenge, überwiegend junger, durch die Straßen ziehender, singender und tanzender Menschen. * Am nächsten Tag unternahmen wir mit dem Bus die erste Entdeckungstour entlang der Galway Bucht bis Carraoe, einem kleinen idyllischen Fischereihafen. Hier fiel uns der erhebliche Tidenhub des Atlantiks auf (6m). Wandten wir unsere Blicke aus dem Bus landeinwärts, konnte wir schon die Weite, die Stimmung der Connemara (Landschaft der Hochmoore) erahnen und sahen oft halbzerfallene Cottages, die von der Landflucht der Bevölkerung zeugten, aber auch viele Neuansiedlungen und .... Schafe. Noch während der Rückfahrt wurden einige Lieder angestimmt. Oh, waren da nicht bei den Neueinstudierungen falsche Töne zu hören? Unser Chorleiter Christoph setzte sofort eine Chorprobe an, denn in Galway wollten wir am Nachmittag unser Können musikalisch einwandfrei präsentieren. Vor dem eigentlichen Auftritt gaben wir eine Kostprobe auf der Straße vor dem Veranstaltungsort, dem Quay’s Pub, eine der bekanntesten und größten MusikKneipen Irlands. Gut so, denn wir standen in Konkurrenz zu vielen anderen Veranstaltungen und dem anschließenden Fußballspiel der Europameisterschaft. Wir boten unser Programm im ausverkauften Haus einem begeisterten Publikum, das zahlreiche Zugaben forderte. * Am 5. Tag fuhren wir auf oft einsamen grauen Straßen ins raue Connemara, eine Landschaft, welche durch Schafe, Wolken und den Wind geprägt wird. Wir lassen ihn uns bei einer ausgiebigen Rast um die Nase wehen. Wir sahen in der Ferne die Bergwelt der BaunturkMountains, die sich aus der Weite des wilden Moorlandes erhebt, sahen die Seen und Tümpel silbrig glänzend zwischen den Hügeln, auf welche die Schatten der vorbeiziehenden Wolken fielen. Wir erlebten, wie sich mit dem Himmel auch die Farben der Landschaft ständig änderten. Durch den Reiseleiter erfuhren wir neben vielen anderen Informationen daß der Begriff „Boycott“ hier seinen Ursprung hat. Die Bauern der Region hatten 1880 dem Verwalter Boycott wegen Mangel an Ertrag die Abgaben, die Arbeit verweigert. Innerhalb einer Saison war er ruiniert. Während der Rückfahrt verdunkelte sich der Himmel, die Wolken sanken tiefer, es regnete. Die Landschaft wirkte bedrückend dumpf. Es wurde ruhiger im Bus, hatte sich die Stimmung auf die Gemüter übertragen? Verarbeitete jeder für sich die Eindrücke? * Am 2.7. Ortswechsel, wir verließen Galway Richtung Lisdonvarna. Während der Fahrt nun auf der anderen Seite der Galway Bay erlebten wir eine gänzlich andere Landschaft. Spätestens hier wurde uns klar, warum unser Reiseführer so oft behauptete, daß die Iren trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten steinreich seien. Ja, hier im Burren (großer Stein) sind die Menschen reich an ...Steinen. Durch diese bizarre, monotone und von Rinnen durchzogene Steinöde führte nun unsere Reise. In Doolin, einem kleinen Ort nahe der Küste und Hochburg der irischen Volksmusik improvisierten wir nach dem Verzehr unseres Irish Stew’s einen Auftritt und konnten uns anschließend an irischen Folkloretänzen eines kleinen Mädchens und einer jungen Dame erfreuen, ursprünglich und spontan. Die nächste Attraktion der Natur erwartete uns: die Cliffs of Moher. Hier merkten wir, daß Irland hohe touristische Zuwachsraten zu verzeichnen hat, denn wir bewegten uns dort im Strom mit vielen Besuchern zum Rand des Steilfelsens. Bis zu 200 m ragen die Klippen aus dem Atlantik empor, dies über eine Länge von 8 km. Faszinierend, mit welcher Gewalt die Wogen ständig gegen die Klippen donnerten. Man glaubte gar zu sehen, daß das Nagen der Wellen am Fels Erfolg hatte. Ein Teil Natur, der zum Verweilen und Träumen aufforderte. Beim Blick über die Weite des Atlantiks sahen wir am Horizont die Aran Inseln, deren Besuch am nächsten Tag auf dem Programm stand. Im Hotel angekommen, war die gewohnte Erholung nicht möglich, Vorbereitungen und dann der Auftritt selber nahmen uns in Anspruch. Das zweistündige Programm begeisterte auch hier unsere Zuhörer. * Am 7. Tag dann die Bootsfahrt zu den Aran Inseln. Wir hatten uns zwar daran gewöhnt, daß das irische Wetter sich jeder Vorhersage entzieht, sich der Wechsel zwischen Sonne und Regen, Sturm und Windstille, Blau und Grau mehrmals am Tage wiederholt. Und gerade dieser Tag begann mit Sturm. Bedenklich schaukelte das kleine Schiff am Anleger. Alle Mann an Bord, das Schiff legte ab und die Chormitglieder waren den Gewalten des Meeres ausgeliefert. Schwer schlingernd hielt der Kutter zunächst Kurs auf die Hauptinsel Irishmore. Die Überfahrt ein Erlebnis für alle!? Wohl nur bedingt, denn ein Limerik eines Chormitgliedes beschreibt die Situation sehr treffend: Auf der Fahrt zu den Inseln, den nassen,Tat manchem ein Übel erfassen.Er hat in der Not,sich sein Frühstücksbrot,noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Unsere Insel in Sicht, der Sturm hatte sich gelegt aber heftiger Regen empfing uns. Den Versuch, wandernd zu dem prähistorischen Steinfort Dun Aenglun’s zu gelangen, gaben fast alle auf und stiegen lieber um auf Einspänner oder Fahrräder. Noch eben vom Regen durchnäßt, erschien alsbald die Sonne. Auch hier wieder Steine, Steinmauern, Rundtürme und Bienenhütten aus Stein Steine bestimmten das Bild der Insel. Derb und wetterfest wirkten ihre Bewohner. Trocken und bei gemäßigtem Wind verließen wir am Nachmittag die Insel, einige mit echten Aranpullovern. Wer wollte es uns verübeln, auch an diesem Abend einen Pub, das „verlängerte Wohnzimmer“ der Iren aufzusuchen und gemeinsam mit Einheimischen und anderen Gästen zu musizieren, deutete sich doch mit der Fahrt am nächsten Tag nach Dublin die Rückfahrt an. * In Dublin vertieften wir den Eindruck, den wir bei der Anreise von dieser Stadt gewonnen hatten. Ein erfolgreicher Auftritt in Dun Laoghaire dem Fährhafen Dublins leitete den letzten Abend, die letzten Stunden auf der Grünen Insel ein. Ein extra Straßenplan, wo alle bedeutenden Pubs eingezeichnet waren, ersparte vielen Sängern das Suchen. * Am 5.7. verließen wir Irland mit dem Fährschiff in Richtung England. Im mittelalterlichen Chester (GB) war eine Übernachtung erforderlich, denn die nächste erreichbare Fähre zum Festland verließ England erst am Abend des 6.7.96. Nein, wir waren noch nicht müde, neue Eindrücke aufzunehmen. Wir erkundeten die Stadt, die einige an Goslar erinnerten, nahmen gar an einer Stadtführung teil und ließen uns die schönsten Winkel zeigen. * Mit dem Ablegen der Fähre in Hull (GB) und einer Übernachtung auf dem Wasser wurde endgültig die Rückreise eingeleitet. Nach vielen Seemeilen auf den Fähren und noch mehr Kilometern sicherer Busfahrt mit Andreas Warnik als LVG Fahrer Dank dafür erreichten wir am Sonntag, dem 7.7. wieder Lübeck. Nicht jeder von uns hat auf dieser Reise Irland als glühendes Herz Europas erfahren. Wohl aber vermittelte sie uns bleibende Eindrücke von der Vergangenheit der Insel, ließ uns die besonderen Schönheiten der Natur dort erleben, die mögliche Stille und Einsamkeit erahnen und hat Anlaß gegeben, Irland nochmals zu besuchen. Dank an Wolf Rüdiger Ohlhoff, der diese Reise angeregt und mitorganisiert hat. Dank auch allen, die zum Gelingen und zur guten Stimmung beigetragen haben. |
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