2000: Seelüüd in Prag
Die Goldene Stadt hat uns in Ihrem Bann

Erlebt und berichtet: Hermann Kratz


Die Idee, die Goldene Stadt zum Ziel einer Kurzreise des PASSAT CHORES zu machen, gab es schon vor über einem Jahr. Aber gute Ideen müssen reifen und so war es eben in diesem Jahr soweit. Nach umfangreichen Vorbereitungen konnte die Reise in der zweiten Julihälfte Wirklichkeit werden.

Hartmut hatte exzelent vorgearbeitet, geplant, recherchiert und sicherlich auch schlaflose Nächte verbracht, galt es doch, etwa 40 unternehmungslustige PASSATCHOR Männer auf die Reise einzustimmen und ihnen das Handwerkszeug in die Hand zu geben, mit dem sie in der fremden Großstadt überleben konnten. Hartmut setzte auf das Prinzip: Viele Informationen für den Einzelnen und damit Selbständigkeit, möglichst wenig Gruppendynamik und damit verbundene Überwachung. Es funktionierte hervorragend.

Unser Ziel war von Hartmut nach mehreren persönlichen Besuchen vor Ort ausgesucht worden und so konnte er aus eigener Anschauung viele Dinge erläutern und beschreiben, die uns sonst fremd geblieben wären. Wir bekamen schon im Juni einen Reisebrief mit allgemeinen Ratschlägen über Prag sowie einen Stadtplan. Beide dienten zur Information und zur Orientierung, aber auf ganz eigene Weise. In welchem Stadtführer von Prag steht schon zu lesen, dass dort etliche Menschen Stäbe mit Fähnchen, Bändern und Teddybären hochhalten, dass dies aber nichts mit dem PASSAT CHOR zu tun hat. (Sicher ein Hinweis auf unsere künftige Freizügigkeit.) Und dann das Platzanbieten in Tram und Metro und die erwartete Reaktion darauf. Es konnte häufig beobachtet werden, nur umgekehrt: nette und höfliche PASSAT CHORSänger boten ständig ihre Plätze an.

Auch der Stadtplan hatte es in sich und alle waren heilfroh, mit ihm reisen zu können. Waren auch alle Namen in tschechischer Sprache und für uns zunächst kaum leserlich oder erklärlich, Hartmut hatte ein System entwickelt, das uns staunen ließ. So war es ganz einfach, einen Treffpunkt, z.B. das Theater Image (Imidsch) und auch alle anderen wichtigen Punkte aufzufinden. Das Theater lag im Planquadrat E6, Koordinaten 5/12. E6 war leicht gefunden. Dort musste ganz einfach unter Zuhilfenahme des mitgebrachten Zirkels und Messlineals 5 mm nach unten geschlagen werden, eine Parallele zum Planquadrat eingezeichnet werden. Dann munter auch von der linken Linie eine Parallele im Abstand von 12 mm eingezeichnet und schon fand man auf der Kreuzung der beiden Linien das gesuchte Theater. Hatte man sich vermessen, landete man evtl. in einem Fiaker am Altstädter Ring. Später stellte sich dann heraus, dass das Ziel noch einfacher zu finden war: Am Altstädter Ring (kennt jeder) dem Pferdegeruch nach (FiakerStand), dann hinter dem Pferdegeruch ein paar Schritte nach halbrechts und schon war man am Ziel.

Hartmut hatte noch einen zweiten Reisebrief für uns erarbeitet, der uns über den geplanten Reiseablauf, Treffpunkte für gemeinsame Aktivitäten, aber auch über viele individuelle Gestaltungsmöglichkeiten unserer freien Stunden informierte.



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So bestens gerüstet und vorbereitet bestiegen wir an einem Sonnabend früh morgens um 6.25 Uhr den Triebwagen nach Büchen. Soweit zu erkennen war, begleiteten uns die besten Wünsche unserer Damen, die auf dem Bahnsteig zurückblieben. Zusätzlich zu unserem persönlichen Gepäck mussten immerhin 2 Gitarren, 2 Akkordien, eine Reiseglocke und 2 Kazoo, enge Verwandte der Eunuchenflöte, mittransportiert werden, aber das wurde zu keiner Zeit zum Problem.

In Büchen erreichten wir den Zug, der uns über Wittenberge, Berlin, Dresden nach Prag bringen würde, ein wirklich schöner Zug der Bahn. Da wussten wir noch nicht, dass nach Grenzübertritt wohl die Lüftung und Klimaanlage ausfallen und uns ein Schaffner mit seinem berühmten Vierkant vor dem Ersticken retten sollte. Der Zug hieß "Vindobona", was zunächst irritierte, aber nicht störte. Was die Sänger zum Ereifern brachte, sprang aus den mitgebrachten LN ins Auge: Ein grosses Foto von den Kollegen von Möwenschiet! Und dabei hatten wir doch gestern die Travemünder Woche eröffnet. Erregung, Debatte, Strategien! Aber alte Zeitungen schmeißt man weg!

Berlin. Wir durchfuhren die Stadt auf der nördlichen Hauptstrecke nach Osten, dann in grossem Bogen nach Südwesten und später nach Süden. Kilometerweit hatten wir damit einen grandiosen Blick über die Grossbaustelle, die sich stellenweise (Neuer Lehrter Bahnhof) in 4 Ebenen abspielte imposant und sehr teuer.

Dann kam gemäss Plan "Schlafen", die folgende blühende Landschaft der Mark Brandenburg gab wohl nicht viel her, und wen interessiert schon das Baruther Urstromtal oder der Niedere Fläming. Individuelle Schlafhilfsmittel kamen zum Vorschein: Sofakissen, Nackenrollen, Augenbinden, notfalls die Jacke Schlafen ist eine schwierige Aufgabe.

Wir erreichten Dresden. Nach einem Halt im Neustädter Bahnhof fuhr der Zug einen großen Bogen, die Altstadt zog vorbei und wir konnten den Canaletto Blick auf die Elbe, Augustusbrücke, Hofkirche, Schloss, Brühl'sche Terrasse, Semperoper genießen, einfach hinreißend.

Hinter Dresden wurde die Schläferschar wieder wach, die Fahrt ging durch das enge Elbtal. Am anderen Ufer begleitete den Fluss das Elbsandsteingebirge mit seinen bizarren Felsen. In engen Windungen folgte der Zug dem Flußlauf, die Festung Königstein zog vorbei und dann dröhnte es in gepflegtem sächsischem Englisch durch den Zug, dass in „ fju minits..." Bad Schandau erreicht werden würde, wo die Zoll und Passkontrolle stattfindet.

Immer wieder erstaunt mich, wie sich Land und Leute nach einem Grenzübertritt, besonders in WestOst Richtung, schlagartig verändern. Plötzlich sind die Menschen nicht mehr zu verstehen, ist die Welt mit unerklärlichen Aufschriften, Schildern, Zeichen versehen, in die kaum ein Sinn zu kriegen ist. Doch die nächsten Tage würden wir damit leben müssen. Besonders verwirrend war aber, dass unsere altvertraute Elbe hier plötzlich als Labe neben uns her floß. Kurz vor Prag mündete in diese Labe ein Fluß, den wir alle als Moldau begrüßten. (Smetana kann sich nicht geirrt haben!). Doch weit gefehlt, Prag liegt an der Vltava.

Ankunft in einem schmucklosen, zugigen Bahn

hof im Norden von Prag. Hartmut und HansPeter gingen auf Erkundung und zum Einkauf unserer Metrotickets. Man muß in Prag immer auf das Gegenteil des Erhofften gefasst sein. Also, es gibt keine Tickets, die 4 Tage lang gelten, wir werden die nächsten Tage mit Taschen voll Fahrscheinen verbringen, die immer genau eine Stunde (sonntags 90 Minuten) gültig sind. Man hat diese bei Fahrtantritt abzustempeln, wenn der Abdruck unleserlich ist, nochmals nachzustempeln.

Man muß die Karten gut verwahren, es wird in Zügen und Umsteigestationen scharf kontrolliert. Noch am gleichen Abend hatte ich das Ticket zu gut verwahrt und fand es folglich nicht wieder. Der freundliche Riese stand grinsend da, so viele Taschen hatte ich überhaupt noch nie gehabt. Zweite Durchsicht, die Geduld ließ nach, schon der Griff zum Nachlöseblock da kam meine Karte zum Vorschein: aus einer verschlossenen Innentasche, die ich sonst nie, nie benutze. Soviel zum Thema sicher verwahren.

Wir vertrauten uns zum ersten mal der tobenden, rasenden, schlingernden Metro aus sozialistischen Zeiten an, fuhren unter der Stadt eine endlose Strecke. Die Stationsnamen wurden immer unaussprechlicher, doch da endlich erreichten wir unser Ziel und ganz einfach: Haje. Eine trostlose Satellitenstadt nahm uns auf, graue, eckige Plattenbauten in langweiliger Eintönigkeit. Wir tauften das später: Betonbarocko. Wohnsilos, Supermarkt, Büros, kleine Geschäfte, Nachtclub und Bierkneipe, eine riesige Baugrube mit lärmenden Maschinen und Lastwagen. Mittendrin unser "Hotel Business."

Zwei karge Betontürme, bis zu 22 Stockwerke hoch, in schwindelnder Höhe durch einen Übergang verbunden. Vor der Eingangstür wachte der obligatorische Sicherheitsposten, dahinter öffnete sich die düstere kleine Halle und Rezeption des Hotels. Dann im 5. bis 7. Stockwerk na ja, wir waren ja vorgewarnt. "Es ist nicht abschreckend!" war Hartmuts mutige Zusammenfassung in unserem Reisebrief gewesen. Wir bezogen unsere Appartements, die aus jeweils 2 Zimmern mit je 2 Betten, einem schlichten Flur mit eingebauten Plattenmöbeln und einem Waschraum mit Badewanne und Waschbecken sowie einer Toilette bestand. Die Zimmer waren kümmerlich mit Schrank, Bett und Sessel ausgestattet, der Blick ging durch nicht ganz neue Gardinen und nicht ganz saubere Fenster über die Betonwüste hinaus ein wenig ins Land. Auch vom obersten, dem 22. Stockwerk aus war Prag nicht zu sehen, Haje lag 30 km südöstlich der großen Stadt.

Für 4 Nächte würden wir es hier schon aushalten, Hartmut konnte uns für das eingesparte Geld täglich eine extra Mahlzeit erwirtschaften und das kam dann uns allen zugute. Für das Frühstück an den kommenden 4 Tagen wurden datierte und nummerierte Bons ausgeteilt, bei denen sich ein lustiges Hin und Hertauschen ergab. Zuletzt wurde das Datum geändert, es ging einfach nicht auf.

Nach Zimmerverteilung und Auspacken ging es mit der Metro zurück in die Stadt. Wir stiegen auf eine andere Linie um und kamen jenseits der Moldau auf der Kleinseite wieder ans Tageslicht. Hier begrüßten wir Dagmar.

("Ihr kennt mir Du sagen!"). Dagmar, unsere reizende, strohblonde Stadtführerin, die uns in den nächsten Tagen mit flottem Schritt durch Prag führen würde und uns durch ihre ausgezeichneten Kenntnisse der Stadt und ihrer Geschichte sowie ihrem lustigen Akzent in der deutschen Sprache alle begeisterte. Etwas störte und führte zu manchem Defizit: Sie gab ihre Erklärungen meistens nur in der Spitzengruppe ab,. Langsamere Nachzügler hatten wenig Chancen etwas zu hören, und manch einer von uns ist nun mal nicht mehr so ganz gut zu Fuß.

Wir stiegen in ein Kellerlokal hinab, zum "Gulasch". Wer jetzt böhmische Gemütlichkeit erwartet hatte, wurde enttäuscht. Wir fanden ein schrill mit Fischen, Vögeln und Palmen dekoriertes Ambiente vor. Der Name "Trinidad" hatte so etwas schon angedeutet. Doch das Essen schmeckte und Pilsner oder Budweiser, Becherovka und Sliwowitz ließen diese Umgebung bald vergessen und Prag fühlen.

Nach dem Abendessen machten wir uns zu einem abendlichen Gang durch die Kleinseite auf, mit schönen Häusern, romantischen Höfen und Gärten. Ausblicke auf Nebenarme der Moldau erinnerten an Venedig.

Wir erreichten die Karlsbrücke mit ihren beiden Türmen. Im 14. Jahrhundert von dem deutschen Baumeister Peter Parler errichtet, ist sie zu einer zentralen Sehenswürdigkeit geworden. Sie soll ewig halten, denn dem Mörtel wurden Eier und Wein beigemischt. Die Brücke zieren 46 Steinheilige, düstere Sandsteinfiguren, die im Laufe von mehr als 250 Jahren beidseitig auf die Brüstung gestellt wurden, jede einzelne könnte eine mehr oder weniger blutrünstige Geschichte erzählen.

Von der Brücke nach Westen hatten wir einen großartigen Blick auf den gesamten Hradschin, der als Schutz und Trutzburg über der Stadt wacht. Aus der Altstadt heraus zogen früher die Krönungszüge nach der Krönungszeremonie über die Brücke zu der Burg, z.B. von Kaiserin Maria Theresia,. Heute vergoldete ein herrlicher Sonnenuntergang den riesigen Komplex.

Rechts daneben tickt in ewigem Hin und Her der riesige Zeiger eines überdimensionalen Metronoms. Es steht auf einem Sockel, der einmal die größte StalinFigur trug. Die wurde 1962 gesprengt. In der Menschenmenge ließen wir uns über die Brücke treiben, konnten links und rechts den abendlichen Fluß mit einem Wehr, mit Booten und Lichtern bewundern, bis wir am gegenüberliegenden Ufer in der heraufziehenden Abenddämmerung in die Prager Altstadt eintauchten. Enge, gewundene Gassen nahmen uns auf, Touristenrummel aller Orten. Schöne alte Gebäude waren liebevoll restauriert worden, aber auch der Verfall von 40 Jahren Sozialismus war nicht zu verkennen. Dagmar erklärte ununterbrochen, aber man mußte schon bis zu ihr aufrücken, dabei gab es doch so viel zu sehen.

Prag lebt in Musik, in Theater jeder Art, in Marionetten, ist ein lebendiges Museum. Allgegenwärtig sind Ankündigungen von Veranstaltungen vielerlei Art. Von Hauswänden baumelten Puppen, Plakate und Transparente über den Gassen, kündigten Opern, Konzerte, Theater an und unzählige Handzettelverteiler streckten den Passanten ihre Angebote entgegen und sorgten für Unrat auf der Straße.

Menschen aus aller Herren Länder schoben sich mit uns in Richtung Altstädter Ring und Rathaus. Gleiche Ströme kamen uns entgegen und so herrschte ein buntes Durcheinander. Am Altstädter Rathaus war die berühmte Astronomische Uhr zu bewundern mit ihrem Apostelreigen und dem klappernden Tod. Meister Hanus hat sie 1490 so vollendet, wie sie heute noch läuft. Er wurde zum Dank dafür vom Prager Stadtrat mit glühendem Schwert geblendet.

Der Altstädter Ring mit dem riesigen, schwarzen Hussitendenkmal, den Fiakern, den Straßenlokalen, den Verkaufsbuden, den schönen Kirchen und Häusern rundum ist ein zentraler Punkt in Prag. Er ist wie ein Phoenix der Asche entstiegen, wenn man sich an seine Ärmlichkeit in sozialistischen Zeiten erinnert.

Wir trieben weiter durch die abendlichen Gassen bis zum unteren Ende des WenzelPlatzes. Oben, am anderen Ende der 600 Meter langen Anlage erkannten wir vor der breiten Fassade des Nationalmuseums das Reiterstandbild des Hl. Wenzel, Schutzpatron aller Tschechen. Auf dem Platz ereignete sich immer wieder tschechische Geschichte, Paraden, Volksaufstände, bedrohliche Panzeraufmärsche, ja, sogar die Selbstverbrennung eines Studenten. Der Tag war lang. Viele von uns fuhren jetzt hinaus zum Hotel, andere verteilten sich auf geeignete Lokale in der Stadt. Eine kleine Gruppe saß so lange an Gartentischen mit herrlichen Blick auf die Moldau und den angestrahlten Hradschin, dass die Abfahrt der letzten UBahn verpasst wurde. Der Taxifahrer forderte hernach einen horrenden Preis. Erst nachdem er Angst wegen einer offiziellen Beschwerde bekam, ging er um die Hälfte zurück.


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Das Frühstück, das im 22. Stockwerk des Hotelturmes stattfand, war etwas bescheiden. Ständig mangelte es an Messern, Tee, Tassen oder Brötchen. Wir nutzten das karge Angebot für den Start in den Tag.

In Gruppen machten wir uns zum Hradschin auf, um 10 Uhr sollte dort Treff mit Dagmar sein. Der Weg hinauf führte entweder durch die Altstadt und Kleinseite mit steil ansteigenden Gassen und endlosen Treppen oder bequemer mit der Tram über eine Serpentinenstraße.

Der Hradschin ist die gößte bewohnte Burganlage der Welt. Hier begegnet man einer 1000jährigen Geschichte und etlichen Baustilepochen. Dort ist noch heute der Sitz des tschechischen Präsidenten, eines Erzbischofs und einer ausgedehnten Administration.

Wir folgten Dagmar durch die 3 Burghöfe und besuchten die darin liegende St.VeitsKathedrale. Die Pracht des Gotteshauses ist so kurz nicht zu beschreiben, man muß die Wucht der steinernen Geschichtszeugen und herrlichen Glasfenster auf sich wirken lassen. In der Kronkammer der Kathedrale liegt die sagenumwobene Wenzelskrone hinter 7 Türen mit an 7 verschiedenen Orten verwahrten Schlüsseln. Nach der Legende darf niemand diese Krone unbefugt aufsetzen. Einer tat es doch, Heydrich, und wurde prompt einen Monat später ermordet. Was danach in dem Dorf Lidice geschah, ist grausame Geschichte.


Auch das Goldene Gässchen mit seinen winzigen Häusern ist ein Kleinod, das kein Tourist versäumt. Franz Kafka hat in einer der Hütten gelebt.

Der Weg zurück zum Hradschiner Platz vor der Burganlage bescherte uns vom Wallgarten aus einen atemberaubenden Blick auf die "Goldene Stadt" und ihre herrlichen Bauwerke. Auch das geschichtsträchtige Fenster, aus dem der 2. Prager Fenstersturz mit der fatalen Folge des 30jährigen Krieges geschah, konnten wir bewundern. Um 12.00 Uhr standen wir dann in einer Menschenmenge auf dem Hradschiner Platz und verfolgten die Zeremonie der Großen Wachablösung, die in malerischen OperettenUniformen mit viel Brimborium vor sich ging.

Danach wanderten wir wieder in kleinen Gruppen zurück zur Stadt. Dagmar hatte uns ein Lokal am Karlsplatz genannt, doch der ist lang und unübersichtlich und wir fanden es nicht. Doch in einem engen Hinterhof mit Blick durch 4 bewohnte Etagen zum Himmel hoch genossen unsere müden Beine für eine Weile Ruhe und gegen Hunger und Durst gab es auch etwas.

Danach hatten wir Zeit bis zum Abend, wo wir gemeinsam Essen gehen wollten. Ich setzte mich von meiner Gruppe ab und fuhr hinüber zur Kleinseite, wo in einem Park das Palais Lobkowitz liegt. Hier ist Sitz der Deutschen Botschaft. Auf der Rückseite des Gebäudes liegt, durch den berühmt gewordenen Eisenzaun abgegrenzt, der Garten, der 1989 Tausenden von DDRFlüchtlingen armselige Zuflucht gewährt hatte. Die Bilder der Kinder, die über den Zaun gehoben wurden, der tschechischen Polizisten, die halbherzig die Flüchtlinge am Übersteigen des Zaunes hindern wollten, standen mir vor Augen. Am Palais war der Balkon zu sehen, auf dem der damalige Außenminister Genscher seine frohe Botschaft wegen des Begeisterungssturms nicht vollenden konnte miterlebte Geschichte.

Abends trafen wir uns dann alle wieder in der "Sennhütte zur Hirtin", wenn man der Übersetzung glauben konnte. In urigen Holzhütten mit Tischen und Bänken machten wir es uns gemütlich, es gab eine herzhafte Mahlzeit mit Wurstplatte und Steak und viel Bier, Wodka, Slivowitz und Becherovka. Eine Zigeunerkapelle spielte ungarische Weisen, der Primas ging geigend durch die Reihen und spielte am Ohr und ins Ohr und dankte sehrrr für einen Zehnmarkschein auf die Stirn geklebt.

Laut Plan schloß sich ein Besuch in einem benachbarten Jazzclub an. Das ist eigentlich nicht weiter erwähnenswert, dort war es dunkel und geboten wurde auch nichts Außergewöhnliches.

Der Rückweg zur nächstgelegenen MetroStation gestaltete sich ziemlich steil bergauf, um diese späte Tageszeit und nach diesem Abend recht mühsam. Diese Station, Visehrad, benannt nach der sagenumwobenen Premyslidenfestung aus dem 9. Jahrhundert, ist die einzige auf unserer MetroLinie, die nicht unterirdisch liegt, und so entschädigte uns ein herrlicher Rundblick über das nächtliche Prag für unsere Mühen, bevor wir die ratternde Bahn bestiegen. Ein Sänger ging an diesem Abend vorübergehend verloren. Er hatte die Tram genommen und irgendwie den letzten Metroanschluß verpaßt. Nach einer Nacht kennt er nun den

Prager Hauptbahnhof genau. Frühmorgens konnte er in den Schoß des Chores zurückkehren. Die „Moldauer Bistrogruppe“ kannte diesmal die letzte Abfahrtszeit der Metro besser und ersparte sich so die Diskussion mit dem Taxifahrer.


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Am nächsten Morgen trafen wir uns im Norden der Altstadt an der Moldau, um auf einem Schiff namens "Orka" eine Flußfahrt zu unternehmen. Dabei fuhren wir unter den vielen Brücken von Prag hindurch, sahen die Stadt aus einem andern Blickwinkel. Den Höhenunterschied der Wehre bei der Karlsbrücke überwanden wir in einer Schleuse. An Bord ließen wir uns ein reichhaltiges, deftiges Mittagsbuffet gut schmecken, doch dann hielt es den PASSAT CHOR nicht mehr, es mußte gesungen werden. Unter den Brücken von Prag erschallten Seekiste, Seelüüd an Land und Yellow Submarine besonders schön und von oben kam so mancher Applaus. Unser musikalischer Leiter Wolfram fand sich prächtig in die Rolle eines Akkordeonisten ein (denn uns fehlte einer unserer gewohnten Instrumentalisten), während Hartmut die Leitung übernommen hatte und souverän dirigierte.

Nach der Schifffahrt war die Besichtigung einer AltstadtBrauerei vorgesehen, diese lag in einer Seitenstraße des WenzelsPlatzes. Viele Sänger gingen zu Fuß. Ich selber nahm die Metro und geriet prompt in eine Touristenfalle, wo man mir mein Portemonnaie klaute. Nichts Wichtiges drin, es ist aber trotzdem ärgerlich. Ein anderer Sänger büßte so außer Geld noch seine ECKarte und den Personalausweis ein. Das bedeutete umständliche Lauferei zur Deutschen Botschaft für die Ausstellung von Ersatzpapieren.

In der Brauerei stiegen wir tief in alte Keller hinab und darunter in noch ältere Keller. Prag mußte im Laufe der Zeit immer wieder wegen der Hochwassergefahr höher aufgeschüttet und neu aufgebaut werden, die so entstandenen Etagen von Kellern zeugen davon. Die anschließende ausführliche obligatorische Bierprobe war der Lohn für die Mühen. So frisch gebraut und gezapftes Bier ist nun mal lecker. Die unglaubliche Geschichte, dass ein Sänger als Genmanipuliertes Känguruh bezeichnet wurde, nur weil er seinen Leinenbeutel auf dem Bauch trug, muss hier entstanden sein.

Der weitere Abend stand für alle zur freien Verfügung. Das umfassende Angebot der 40 Jahre lang verbotenen und wiedererwachten Stadt wurde weitgehend genutzt, es ist ja wirklich für jeden Anspruch etwas dabei.


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Am nächsten Tag hatten wir Grosses vor. Warum sollte der PASSAT CHOR nicht auch einmal auf der KarlsBrücke singen, unzählige andere taten es ja auch. So stellten wir uns unter einer der vielen Steinfiguren auf und sangen munter ein schönes Programm. Viele vorbeipilgernde Touristen spendeten Applaus, eine Truppe wie wir in unserer Kluft war dort zumindest exotisch. Unsere Musik rief allerdings nach einiger Zeit wir waren aber schon beim GoodByeMedley zwei schwarze Sherifs auf den Plan. Sie machtren uns unmissverständlich klar, dass hier solche Aktivitäten ohne amtliche Genehmigung verboten sind, aber wir (und das Publikum) hatten unseren Spaß gehabt und zogen wieder ab.

Ein Stück flußauf liegt, über eine Brücke erreichbar, die SlovanskyInsel und darauf, in einer Parkanlage, der Palast Zofin, nach der Mutter von Kaiser Franz Joseph I, Sophie, benannt. Dieser Prunkbau ist wohl ausschließlich zu repräsentativen Zwecken errichtet worden. Hier spielt sich ein Teil des Prager gesellschaftlichen Lebens ab. Unter einem farbenprächtigen Kolossalgemälde, das Szenen aus der tschechischen Mythologie darstellte, bekamen wir ein wunderschönes Menü serviert und genossen das ausgezeichnete Essen. Anschließend hieß es Abschied nehmen von Dagmar. Im Park vom Zofin, vor der Musikmuschel, auf der Dagmar als einzige Zuhörerin saß, brachten wir ihr ein Ständchen und bedankten uns für ihre Organisation und freundlichen Führungen durch die Stadt.

Dann kam auch für uns der Abschied von Prag. Es war der letzte Abend und wir sollten als Krönung unseres Aufenthaltes das Schwarze Theater Image besuchen. Alle hatten, dank Hartmuts Beschreibung, pünktlich dorthin gefunden. Wir tauchten ein in tiefsten schwarzen Prager Theaterunsinn, bei dem es um die Synthese neuer Wesen durch Übertragung von Teilen von anderen Wesen durch einen verrückten Professor und seines Assistenten ging. Wir hatten viel Spaß und waren am Schluss froh, dass wir alle noch leidlich beieinander waren.

Den letzten Abend beendete ein abschließender Kneipenbummel oder auch ein Gang durch die nächtliche Stadt.


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Die Heimfahrt am nächsten Tag begann erst mittags, so blieb noch der Vormittag zu einem letzten Blick über den WenzelsPlatz, einem Kaffee in einem der kleinen Gässchen oder erinnerndem Verweilen auf dem Markt in einer Seitenstraße.

Pünktlich bestiegen wir den Zug, der uns auf gleichen Wege ohne weitere Zwischenfälle bis Büchen brachte. Dort, auf dem Bahnsteig, war endlich die Zeit, dass auch Hartmut als Reiseleiter und Reisedirigent sein wohlverdientes Ständchen bekam. Alle waren sich einig, dass diese Reise uns wieder ein neues Stück der großen weiten Welt gezeigt hatte. Zufrieden und müde bummelten wir dann mit dem kleinen Triebwagen Richtung Lübeck.

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